Florian Kliem kämpft für einen bewussteren Umgang mit Lebensmitteln: auf der Straße, auf dem Acker, vor allem aber am Herd. Dass das vor allem in der professionellen Gastronomie anstrengend ist, liege auch an den Verbrauchern.
Der Protest schmeckt nach Suppe. Leuchtend pink köchelt sie in einem großen Topf vor sich hin. Rote Bete sind darin, Sellerie, Kartoffeln, Zwiebeln, Möhren. Erdig-würziger Geruch liegt in der Luft im Zirkuszelt Cabuwazi hinter dem Postbahnhof. Am Herd steht Wam Kat, der Vater der Protestküche, der seit 35 Jahren für demonstrierende Umweltschützer kocht. Alle paar Minuten bringt jemand eine Waschschüssel voll klein geschnittenen Kochguts vorbei, kippt es in die siedende Masse oder kommt einfach nur, um einen Blick darauf zu werfen und ein paar Worte zu wechseln. Einer davon, große Mütze über einem Kopf voll Dreadlocks und Bart, ist Florian Kliem.
Kliem, gelernter Koch, verknüpft wie Wam Kat Aktivismus mit Kulinarik. Nur, seine Methode ist eine andere. Er helfe heute nur ein wenig mit, sagt er, und wie schön es sei, sich Jahr für Jahr zum gemeinsamen Kochen zu treffen – bei der sogenannten Schnippeldisko vor der Demo, die er vor drei Jahren mit ins Leben rief. Es ist Freitagabend; der Vorabend des Tages, an dem wieder, wie jedes Jahr pünktlich zur Grünen Woche, Landwirte, Food-Aktivisten, Umweltschützer und ganz normale Leute unter dem Motto „Wir haben es satt“ für die Agrarwende und für ein Umdenken im Umgang mit Lebensmitteln auf die Straße gehen.
50.000 waren es nach Angaben der Veranstalter diesmal. Und weil Protestieren nun mal hungrig macht, und es im Januar oft eisig kalt ist, wird vorab immer diese Suppe gekocht, die dann auf der Demo verteilt wird. Bei der Premiere, 2011, waren es nur Florian Kliem, Wam Kat, dessen Team von der Fläming Kitchen und ein paar andere, die in der Markthalle Neun in Kreuzberg aus Gemüsespenden eine Suppe zauberten. Ein Jahr später erfanden die Leute von Slow Food Youth dann die Schnippeldisko, eine Kochparty, um den riesigen Berg an Knollen und Wurzeln kleinzubekommen – eine Idee, die um die Welt ging.
Essen als Event, das funktioniert eben nicht nur in Edelrestaurants oder auf hippen Streetfood-Märkten, sondern auch unter Aktivisten. Florian Kliem kennt sie alle, die Foodies und die Feinschmecker sowie diejenigen, für die Lebensmittel ein politisches Thema sind. Für ihn gehört beides zusammen: das gute und das bewusste Essen. Aufgewachsen im beschaulichen Mittelhessen zwischen Obstbäumen und Gemüsefeldern, entdeckte er schon früh seine Affinität zu Lebensmitteln. „Werde doch Koch! Gegessen wird immer“, riet ihm der Großvater, und Kliem folgte dem. Ausgebildet wurde er im Gourmetrestaurant im Varietétheater Tigerpalast in Frankfurt am Main. Im Anschluss zog er in die Pfalz, kochte zwei Jahre lang Haute Cuisine im Ketschauer Hof. „Ein klassischer Werdegang“, sagt er.
Dann, ebenfalls klassisch, zog es ihn nach Berlin: „Wie das halt so ist, wenn man jung ist.“ Auch dort arbeitete er zunächst weiter in der gehobenen Gastronomie, zuletzt im Alten Zollhaus am Landwehrkanal. Nebenher beschäftigte er sich intensiv mit Lebensmitteln. Als er wieder einmal mitten im Dezember Tomaten auf die Lebensmittelbestellung schrieb, fragte er sich, was er da eigentlich tue: „Wieso ausgerechnet jetzt Tomaten? Wo kommen die überhaupt her?“ Die Antwort lautete: Aus Alméria, wo die Tomaten, wie der kritische Verbraucher weiß, von zumeist nordafrikanischen Wanderarbeitern unter Plastik mit massivem Pestizideinsatz angebaut werden.
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„Dann habe ich für mich entschieden, dass ich so nicht mehr weitermachen möchte, sondern schauen möchte, was es sonst noch gibt“, sagt er. „Sonst noch“ gab es aber herzlich wenig. Warum? In der Gastronomie sei das Thema Bio noch viel weniger präsent als beim Endverbraucher. Das Problem seien die Kosten. „Lebensmittel sind verdammt billig, und das weiß der Kunde mittlerweile“, erklärt Kliem. Margen würden nur genutzt, um den eigenen Profit zu steigern, auch bei angeblich regionaler Küche: „Klar kommt es zwei, drei Mal im Jahr vor, dass der Havelzander tatsächlich von einem Havelfischer kommt. Aber meistens kommt er eben aus Russland, tiefgekühlt.“
Also begann er, nach Partnern zu suchen, die seine Ansichten teilten, um selbst Alternativen zu schaffen. Längst ging es da nicht mehr nur um gutes regionales Essen, sondern auch um eine andere Wirtschaftsweise. „Gemeinwohlökonomie“, nennt er das, was er anstrebt: „Wenn ich bei einem etwas kaufe, dann soll der auch etwas davon haben.“ Und damit meine er natürlich keine Großkonzerne, sondern kleine Produzenten. Zwei Jahre lang experimentierten sie: vier oder fünf Leute mit der Vision einer besseren Welt. Irgendwann bauten sie ein Auto zum Foodtruck um und tingelten herum als Aktionsküche „Tante Hans“, am liebsten von Festival zu Festival, um junge Leute zu erreichen, und für den eigenen Spaß. Vor Ort fragten sie bei Bauern nach, was sie gerade so im Angebot hätten, und was vielleicht auch weg müsse. Erst anschließend überlegten sie sich dann Rezepte. Topinambur-Kartoffelpuffer oder Wildkräutersalate zum Beispiel: Dinge, die nicht jeder kennt, die Fragen provozieren und lecker schmecken. Politveranstaltungen kamen hinzu, 2011 auch besagte erste Demosuppe, die sie mit Wam Kat kochten und von ihrem Foodtruck aus verteilten.
In der Markthalle Neun in Kreuzberg kochten sie anfangs nur am Wochenende zum Wochenmarkt. Im September 2012 eröffneten sie dann die Kantine Neun mit täglichem Mittagstisch für vegane, vegetarische und omnivore Esser, zubereitet möglichst aus Produkten, die in Berlin und Brandenburg in Kleinbetrieben erzeugt wurden. Es gab vegane Semmelknödel aus Brot vom Vortag mit Berliner Zuchtpilzen und wilden Preiselbeeren, vegetarische Zucchinilasagne mit Brodowiner Ziegenkäse oder gegrillte Brust vom Zweinutzungshuhn mit Ofenkartoffeln und Zuckerrübengemüse. Ernst gemeintes Slow Food: wenn mit Fleisch, dann nur als Beilage und oft mit krummem Gemüse, das sonst weggeworfen würde.
Dass viele Gerichte bei den Konsumenten für Nachfragen sorgten – bei einem Zweinutzungshuhn handelt es sich um ein Huhn, das sowohl zum Eierlegen, als auch als Fleisch genutzt werden kann –, war Teil des Konzepts. „Es war immer unser Anspruch, Leute zum Fragen und Nachdenken anzuregen“, sagt Kliem. Ob man denn mit Kochen und Essen die Welt verändern kann? „Ja“, antwortet er, „davon bin ich überzeugt.“ Der Verbraucher sei zwar nur ein Teil des Systems wie die Produzenten und die Politik, aber man gebe mit seiner Nachfrage einen ganz konkreten Auftrag an die Landwirtschaft: „Wir haben auch eine Verantwortung, die oft unterschätzt wird“, findet er.
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Mit der Kantine Neun hat es letztlich nicht geklappt. Im Sommer 2014 übergaben Kliem und sein Team den Stand an neue Betreiber. „Wir haben gemerkt, dass es nicht funktioniert. Wenn wir weiter so konsequent bleiben und nicht bereit sind, Abstriche beim Einkauf unserer Produkte zu machen, lohnt es sich wirtschaftlich nicht“, erklärt er. Profit-orientiert arbeiteten sie nie, aber auch für die laufenden Kosten und nötige Rücklagen reichte es nicht. Mit reellen Preisen erreichten sie die Schmerzgrenze der Konsumenten. Seitdem konzentriert sich Kliem vor allem auf ernährungspädagogische Projekte. Zudem bietet er Beratungen für gastronomische Betriebe an oder lässt sich als Caterer buchen. Im Dorf Grube bei Potsdam wirkt er bei der BAUERei mit, einem Bildungsprojekt für Schüler, das sich gerade in Aufbau befindet. Am Rande Berlins engagiert er sich beim Projekt „2000 m2 “ der Zukunftsstiftung Landwirtschaft. Der Name bezieht sich auf die Fläche an Ackerland, die nach Berechnungen der UN-Ernährungsorganisation jedem Menschen zur Verfügung steht: Auf dem 2 000 Quadratmeter großen Weltacker in Kladow soll ab April ein Jahr lang eine Person, nämlich Florian Kliem, von eben dem leben, was dort erwirtschaftet wird.
BEWUSSTES ESSEN SCHMECKT EINFACH GUT
Jeden Monat kann ein Besucher mitarbeiten und mitessen. Für Kinder und Jugendliche wird es auch hier Aktionen und Veranstaltungen geben. Bei Kindern lohne es sich anzusetzen. „Viele kennen frisches Obst und Gemüse gar nicht. Daran müssen wir arbeiten“, sagt er. Sobald ein erster Zugang geschaffen sei, werde so ein Projekt oft schnell zum Selbstläufer. In der BAUERei hat er bei ersten Workshops erfahren, dass Grundschüler, aber auch ältere Jugendliche nach kurzer Zeit begeistert Kartoffeln ausgraben oder Möhrchengrün-Pesto löffeln.
Bei Erwachsenen sei die Sache oft schwieriger. Viele weigerten sich einzusehen, dass sie jahrelang etwas falsch gemacht hätten. Gänzlich hat Florian Kliem die Hoffnung aber nicht aufgegeben. Bei der Demo hat er am Sonnabendmorgen das traditionelle Bauernfrühstück für die von weither Angereisten ausgerichtet und abends, völlig übermüdet, sein Ackerprojekt präsentiert. Vielleicht erreiche man die Älteren ja über ihre Kinder oder mit großen Aktionen, hofft er. Oder aber durch den Magen. Eine Suppe reicht dann wahrscheinlich nicht aus, aber mit einem Sechs-Gänge-Menü oder einem Raritäten-Kochkurs glaubt er, es beweisen zu können: Das bewusstere Essen schmeckt einfach gut.