Wam kocht ausschließlich mit regionalen Produkten, die er von Biobauern oder Bio-Supermärkten bekommt. So wurde er auch Protagonist des Dokumentarfilms "Taste the Waste" von Valentin Thurn.

Weltverbesserung beginnt am Herd

Wam kocht ausschließlich mit regionalen  Produkten, die er von Biobauern oder Bio-Supermärkten bekommt. So wurde  er auch Protagonist des Dokumentarfilms "Taste the Waste" von Valentin  Thurn.

Für 10.000 Protestler braucht es rund 2000 Kilo Gemüse: Der niederländische Aktivist Wam Kat kocht bei Demonstrationen mit weggeworfenen Bioprodukten.

Die Tür quietscht, und man betritt eine riesige Halle aus Stahl und Beton, in der früher Omnibusse der Berliner Verkehrsbetriebe gewartet wurden. Das ist lange her. An diesem Tag steht ein weißes Zelt in der Halle, das heute als „Glashaus“ bekannt ist und für Theateraufführungen oder Konzerte genutzt wird. Wie eine hell erleuchtete Raumkapsel wirkt das Zelt in der historischen Umgebung. „Nur reinspaziert“, begrüßt ein schmaler, drahtiger Mann mit grauen langen Haaren, die zu einem wilden Zopf gebunden sind. Der Mann trägt einen schwarzen Kapuzenpullover und eine Zimmermannshose. Sofort steigt einem der Geruch von Roter Bete und Karotten in die Nase. Das frisch geschnittene Gemüse türmt sich in großen Schalen. Aus riesigen Kochtöpfen steigt der Wasserdampf, der einen intensiven Nudelgeruch verbreitet.

Wam Kat ist der Herr über diese mobile Küche, die er „Fläming Kitchen“ nennt – benannt nach der Fläming-Region. Die befindet sich zwischen Berlin und Dessau, wo der gebürtige Niederländer seit 1995 lebt – in einem Haus im Wald. Wam ist Aktionskoch, der auch bei Demonstrationen, Festivals oder bei alternativen Veranstaltungen Essen zubereitet und gratis verteilt. Er hat im Wendland für die Demonstranten gekocht, die gegen die Castor-Transporte protestierten. In den Neunzigern war er als Friedensaktivist der „Balkan Sunflowers“ in den Jugoslawienkriegen mit kulinarischen und humanitären Aktionen tätig. Für 10.000 Leute kochen – Wam Kat und seinen freiwilligen Helfern macht das kein Problem. Mitte März war der 58-Jährige mit der 2011 gegründeten „Fläming Kitchen“ in Frankfurt, als dort gegen die Eröffnung der Europäischen Zentralbank protestiert wurde: „Da habe ich für 8000 Leute gekocht.“ Dann lacht er.

Gut und günstig

An diesem sonnigen Frühlingstag kocht er mit seinen Helfern im Berliner Bezirk Treptow für junge Schauspieler, Regisseure und Dramaturgen, die an einem internationalen Workshop teilnehmen. Das Begegnungsprojekt wird von der Berliner Schaubühne veranstaltet. Wam Kats Kochaktion soll den Theatermachern aus Tunesien oder Frankreich zeigen, wie man aus weggeworfenem Bioprodukten gut und günstig vegetarisch kochen kann.

Mit der Bekochung von politisch aktiven Massen beschäftigt sich Wam seit Anfang der Achtziger, als er mit der rollenden Polit-Küche „Rampenplan“ die Anti-Atomkraft-Bewegung in den Niederlanden mit vegetarischem Essen zu versorgen begann. „Die Anti-Atom-Aktivisten haben früher alle bei Aldi eingekauft und Fertigpizza gegessen“, erzählt er und kann sich ein kopfschüttelndes Lächeln nicht verkneifen. „Das muss man sich mal vorstellen. Von „bio“ hatten die wenigsten eine Ahnung.“ Aber gerade beim Essen fange doch alles an – Politik und Demokratie. „Dreimal am Tag entscheidest du, was du isst“, erklärt Wam. „Du entscheidest, wo das Essen herkommt. Wenn man was kocht, und mit wem zusammen man isst, so lassen sich viele Konflikte schneller lösen.“

Fleisch war damals teuer

Wam ist in einer Künstler- und Hippiekommune auf dem Land groß geworden, in der Provinz Utrecht. Sein Vater war Bildhauer. „Künstler haben nie Geld“, erzählt er: „Und Fleisch war in den Sechzigern teuer. Also habe ich gelernt, wie man aus gutem Gemüse schmackhaftes Essen für große Gruppen zubereiten kann.“ Er habe auch Soziologie und Psychologie studiert, aber der Aktivismus sei ihm immer näher gewesen. Die Arbeit in Industrie-Schlachtereien hat ihn endgültig vom Fleischverzehr weggebracht. In der zweiten Hälfte der Siebziger landete er auf der Rainbow Warrior, dem legendären Schiff, das die Weltmeere unter der Flagge von Greenpeace kreuzte und sich auf spektakuläre Weise mit Walfängern anlegte. Dort arbeitete er als Gehilfe des Kombüsenchefs Rien Achterbeen. Und der bläute Wam einen Satz ein, der das Leben des jungen Mannes verändern sollte: „Die Küche ist das Wichtigste. Wenn wir nicht gut kochen, werden auch die Aktionen nichts.“

Protest, politischer Wandel oder Weltverbesserung beginnen also im Magen – und damit am Herd. Wam kocht ausschließlich mit regionalen Produkten, die er von Biobauern oder Bio-Supermärkten bekommt. So wurde er auch Protagonist des Dokumentarfilms Taste the Waste von Valentin Thurn aus 2010, der die weltweite Essensverschwendung thematisierte. „Es ist ja bekannt, dass viele Lebensmittel weggeworfen werden“, sagt Wam. „Rund 50 Prozent weltweit, in Privathaushalten und in Supermärkten. Bei Bioprodukten ist das nicht anders.“

Foodsharing-Netzwerke

Das liege vor allem an dem Mindesthaltbarkeitsdatum auf den Produkten, mit dem Supermärkte und Lebensmittelhersteller die Frische des Produktes bis zum angezeigten Datum garantieren. „Natürlich heißt das aber nicht, dass die Lebensmittel mit diesem Datum alle verderben“, erklärt Wam. Man müsse sie eben nur einsammeln. Und dafür gebe es mittlerweile in vielen Städten Foodsharing-Netzwerke, die das Weiterleiten von Obst und Gemüse organisieren. Auch Wam verfügt über solch ein Netzwerk, sodass er in den Regionen, wo er kocht, genügend Lebensmittel bei Bauern und Bio-Supermärkten einsammeln kann. Für 10.000 hungrige Protestler braucht er schließlich 2000 Kilo Gemüse.

Wams Augen leuchten nun wie kleine Feuer. Wieder hebt er seine Stimme an: „Wenn eine Gurke zu krumm und unförmig, wenn eine Kartoffel zu klein oder runzelig ist, wenn ein Apfel ein paar schlechte Stellen hat. Dann können die nicht in den Verkauf bei den Biomärkten, da die auch Vorgaben für das ästhetische Aussehen von Gemüse und Obst haben.“

Dreckig und krumm

Vor zwanzig Jahren hätte eine Biokarotte eben auch aussehen müssen, sagt Wam, als ob sie gerade dem Erdreich entsprungen sei: dreckig und krumm. Das habe keinen gestört. Das sei sogar erwünscht gewesen, weil es eher dem Öko-Gedanken entsprochen habe. „So was will aber heute kaum noch jemand.“ Mit anderen Worten: Bio-Essen muss heute aussehen wie ein Hochglanzfoto aus einem Gourmetmagazin: steril und formschön.

Rund um seine Gemeinde Belzig, wo Wam für die Partei Die Linke auch in der Stadtverordnetenversammlung sitzt, kennt der Aktionskoch mittlerweile jeden Biobauer persönlich. Genau diese Art der Nachhaltigkeit wolle er weitergeben. „Damit die Leute Lebensmittel wieder schätzen lernen. Gutes Essen muss nicht teuer sein, wenn man weiß, wo es herkommt und wie man es bekommt.“ Der Gedanke, dass gesundes Bio-Essen teuer sein müsse, sei nichts als ein schlechter ein Witz. Wams Augen wirken nun wieder feurig und leidenschaftlich. Plötzlich steht er auf, geht in Richtung Zelt und ruft: „Ich muss mich noch um die Kartoffeln kümmern.“ Dann ist er wieder im weißen Zelt verschwunden, das auch eine Raumkapsel auf einem fernen Planeten sein könnte. (Ingo Petz, 24.5.2015)

Buchtipp: Wam Kat, „24 Rezepte zur kulinarischen Weltverbesserung“ (Orangepress)

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