Serie „Anders leben“
Der Niederländer Wam Kat sorgt seit drei Jahrzehnten dafür, dass Demonstranten nicht der Magen knurrt. Streng vegan und umweltfreundlich, versteht sich. Ein Besuch.
Wenn Wam Kat am Herd steht und kocht, sieht das nicht leicht und locker, sondern nach schwerer Arbeit aus. Mit kleinen Portionen gibt sich der Niederländer nicht ab. Wenn er zu seinem überdimensionierten Kochlöffel greift, warten meist Hunderte oder gar Tausende hungriger Gäste auf ihre Portionen. Die Töpfe, die er dazu braucht, fassen bis zu 400Liter, einige sind Sonderanfertigungen, die so schwer sind, dass sie einer allein kaum tragen kann. Mit diese schweren Ausrüstung und einer Entourage von Gleichgesinnten zieht er mit Unterbrechungen seit 30 Jahren durch die Welt, kocht für den Frieden, gegen Atomkraft, Pershing-Raketen oder die fortschreitende Globalisierung.
In der Szene der Aktivisten ist der 58-Jährige so etwas wie ein Star. Viele Demonstranten oder Festivalbesucher haben schon bei ihm gegessen. Wenn er ausrechnet, was da so im Laufe der Jahre über seinen mobilen Tresen ging, kommt er auf mindestens vier Millionen Mahlzeiten. Alles vegan und umweltfreundlich, versteht sich. Pappteller und Plastikbesteck kämen bei ihm nie auf den Tisch. Auf die Idee, sich als Koch zu bezeichnen, würde er trotzdem nie kommen. „Ich bin Lebensaktivist“, sagt er. „Kochen ist meine Methode.“ Es ist seine Methode, die Welt zu verbessern.
Beim ihm bedeutet das vor allem eines: improvisieren. Wam arbeitet mit dem, was andere wegwerfen. Dafür ist sein Projekt Fläming Kitchen bekannt. Damit will er ein Zeichen setzen. „Die Hälfte aller Lebensmittel landet im Müll, das ist doch irrsinnig“, sagt er. Während andere Köche im Großmarkt einkaufen, klappern er und seine Helfer Ökohöfe ab und sammeln Ausschussware ein, etwa krummgewachsene Möhren oder zu klein geratene Kartoffeln. Eben alles, was im Handel wegen Schönheitsmängeln keiner abnehmen würde. In Supermärkten fragen sie nach Lebensmitteln, die eigentlich noch genießbar sind, aber nicht mehr verkauft werden dürfen, weil ihr Verfallsdatum abgelaufen ist.
Mit seinen Aktionen gegen das Vernichten von Lebensmitteln hat Wam einiges bewegt. Er gab unter anderem den Anstoß für die Initiative „Zu gut für die Tonne“, die von der früheren Bundesverbraucherministerin Ilse Aigner gegründet wurde. An der privat organisierten Foodsharing-Bewegung hat er ebenfalls seinen Anteil (siehe Kasten). Den Dokumentarfilmer Valentin Thurn hat er bei seinem Film „Taste the Waste“ unterstützt, der die weltweite Lebensmittelverschwendung anprangert.
Selbst die Grausamkeiten, die er im Balkan-Konflikt erlebt hat, klingen aus seinem Mund wie Anekdoten. Anfang der Neunzigerjahre wollte er sich im ehemaligen Jugoslawien an Friedensaktionen beteiligen. Doch dafür war es längst zu spät. „Plötzlich stehst du mitten im Krieg, die Kugeln fliegen dir um die Ohren, und du musst erkennen, dass es jetzt nichts mehr bringt, für den Frieden zu demonstrieren“, erzählt er. Trotzdem ist er fast zehn Jahre geblieben, um zu helfen. Eine harte Zeit. So war er in Bosnien gezwungen worden, Erschießungen mitanzusehen. „Klar wollte ich da nicht dabei sein, aber es war halt so.“ Mit diesen Bildern im Kopf muss er nun leben. Seine Kriegserlebnisse veröffentlichte er in den Zagreb Diaries, und wurde damit als einer der ersten Blogger weltweit bekannt.
Er hat gelernt, physischer Gewalt mit Ruhe und Beharrlichkeit zu begegnen. Das ist seine Art, Widerstand zu leisten und die Dinge zu verändern. Wam ist ein Getriebener, hat viele Jobs gemacht. Einzig das Kochen zieht sich wie ein roter Faden durch sein Leben. Doch das Vagabundenleben hatte auch seinen Preis. Das gibt er unumwunden zu. Seine drei Kinder wuchsen die meiste Zeit ohne ihn auf, und auch die Frauen an seiner Seite hatten es nicht leicht.
Groß geworden ist er in Zeist nahe Utrecht, in einer Familie mit jüdischer Abstammung. Sein Großvater wurde von den Nazis umgebracht, sein Vater, ein Bildhauer, gehörte dem Widerstand an. Nach dem Krieg zogen seine Eltern neben zwei eigenen Kindern gut ein Dutzend Pflegekinder auf. „Keine Ahnung, wie sie das geschafft haben. Das Geld war immer knapp.“ Trotzdem sei seine Kindheit schön gewesen „Es gab immer genug zu essen, aber eben nie Fleisch, dafür hat es nicht gereicht.“ Seitdem esse er kein Fleisch. Das habe ihn jedoch nicht daran gehindert, zwei Jahre lang in einer Fabrik Schweine im Akkord zu zerlegen. Damit finanzierte er teilweise auch sein Studium, Psychologie und Soziologie. „Der schlimmste Arbeitsplatz der Welt“, wie er findet, „aber ich habe dort viel gelernt. Etwa, dass Menschen bereit sind alles zu essen, wirklich alles.“ Selbst Muslime in der Fabrik hätten sich beim Mittagessen Schweinebäuche und Wurst auf den Teller geladen, obwohl ihnen die Religion das eigentlich verbietet.
Ein paar Jahre danach versuchte er sich als Biobauer. Gemeinsam mit Freunden betrieb er unter anderem eine alte Käserei. Weit seien sie nicht gekommen, meint er trocken. „Die EU hat damals die Hygienevorschriften verschärft, und uns fehlte das Geld für den teuren Umbau.“ Das sei es dann gewesen mit dem Hof.
Er suchte eine neue Aufgabe. Anfang der Achtzigerjahre formierte sich in Europa die Anti-Atomkraft-Bewegung. In den Niederlanden beteiligte er sich an der Organisation eines Protestcamps für 15 000 Menschen. „Kein Mensch wusste, was die alle essen sollten“. Noch nie zuvor hatte er für so viele Menschen gekocht, „aber irgendwie hat es funktioniert“. Dann kamen die nächsten Anfragen von Aktivisten aus Wackersdorf. Dort war eine Wiederaufbereitungsanlage für Brennelemente geplant. In Mutlangen protestierten sie gegen die Stationierung von Pershing-Raketen und in Frankfurt wollten sie eine neue Startbahn am Flughafen verhindern. Von da an war er viel unterwegs.
Wenn er sagt, dass ihm an Geld und einer beruflichen Karriere nie etwas gelegen habe, kann man ihm das durchaus abnehmen. Dabei hätten ihm nach dem Studium wichtige Türen offengestanden. Er trat einen gut bezahlten Job bei der Unesco an, einer Unterorganisation der Vereinten Nationen, und betreute Entwicklungshilfeprojekte. Die Illusion, auf diesem Posten Gutes tun zu können, sei jedoch schnell verflogen. „Da habe ich gelernt, welchen Unsinn man mit viel Geld anstellen kann, zum Beispiel eine Fischkonservenfabrik für Beduinen mitten in der Sahara bauen, weit entfernt vom Meer.“ Ohnehin fand er, dass sein Job viel zu gut bezahlt war. Deshalb sei eine Kündigung nur logisch gewesen. Fünf Jahre hat er insgesamt für die Unesco gearbeitet.
Dass er nach seiner Zeit im ehemaligen Jugoslawien in Brandenburg ankam, sei eher Zufall gewesen, sagt er. Freunde hatte ihn hierher eingeladen, damit er sich vom Balkan-Krieg erholen konnte. Doch einfach nur nichts tun, das ist nicht sein Ding. Innerhalb kürzester Zeit gründete er im nahe gelegenen Bad Belzig ein Multikulturhaus, setzte sich für Flüchtlinge ein und zog 2003 für die Linken in den Stadtrat ein. Seitdem gehört er ein bisschen zum Establishment und er scheint das durchaus zu mögen. Er scheint angekommen zu sein.
Das Haus im Weitzgrund, eine ehemalige Waldschänke, betrachtet er als eine Art Altersvorsorge. Von Versicherungen und Sparkonten halte er nicht viel, meint er. Wirklich überraschend ist das nicht. Dass sich an diesem Ort einst die Polizeikader des früheren SED-Regimes zu dem ein oder anderen Feierabendbier trafen, bereitet ihm Freude. Das kann er nicht verhehlen. In seinen Augen ist das ein kleiner Sieg über ein Unrechtssystem, das sich für unantastbar hielt und seinen Untergang nicht kommen sah. Hier lebt er mit seiner Lebensgefährtin und einem engen Freund. „Seit zehn Jahren mache ich mir Gedanken darüber, wie ich alt werden will“, sagt er. Er weiß, dass ihm sein Rentenanspruch in Höhe von 11 Euro und 68 Cent dabei keine Hilfe sein wird. „Damit kann man kein Loch in die Butter schlagen.“
Auch das ist einer der Gründe, warum er sich in der strukturschwachen Region engagiert, die seit der Wende unter einem dramatischen Schwund an Bewohnern leidet. Vor allem die Jungen gehen weg. Wam, der Weltverbesserer, setzt trotzdem unverdrossen auf die Solidarität der Generationen. „Wir müssen jetzt junge Menschen hierher locken und Perspektiven bieten. Wenn wir alle alt sind, wird keiner mehr kommen.“ Und wenn es am Ende doch das Altersheim wäre? Selbst das wäre für ihn kein Problem, sagt er. “ Wenn ich da reingehe, wäre es in kürzester Zeit kein Altersheim mehr. Ich würde das verändern.“ Wer ihn kennt, weiß, dass diese Drohung durchaus ernst zu nehmen ist. Es geht eben auch anders.
Essen retten
Gegen die Verschwendung von Lebensmitteln regt sich immer mehr Protest. Weltweit landet mehr als die Hälfte aller Nahrungsmittel im Abfall statt auf dem Teller. Frankreich will nun ein Gesetz erlassen, das es dem Handel verbietet, aussortierte Ware in den Müll zu werfen. Die deutsche Bundesregierung setzt dagegen auf Aufklärung. Daneben sind in den vergangenen Jahren einige private Initiativen entstanden. Über die Internet-Plattform foodsharing.de können Privatpersonen überschüssige Lebensmittel untereinander tauschen. Die Slow-Food-Organisation hat die Aktion „Teller statt Tonne“ gegründet, die deutlich machen soll, dass man auch mit Ernteresten kochen kann, die der Handel nicht abnimmt.