von Jochen Wegner ::: Erschienen am Mittwoch, 17. Mai 1995 @ 08:21:14 CEST
Publiziert in der taz
Reportage über den Bielefelder ´Verein zur Förderung des bewegten und unbewegten Datenverkehrs´
Der Nabel der Welt ist kaum größer als ein Schäferhund-Zwinger. Beheizt wird er von den Gebläsen gleichmäßig atmender Rechner. Ein Dutzend von ihnen steht, büchergleich aufgereiht, im Sperrholzregal an der Wand. Ein Dutzend Modems, deren Lämpchen psychedelisch flimmern wie in einem schlechten Science Fiction, leistet Gesellschaft. Immer wieder klingelt ein Gerät, hebt mit klickendem Relais ab, läßt kaum hörbar Daten ins Telefonnetz rauschen, um dann klickend wieder zu verstummen. Zwei Eimer Chio-Chips, so groß wie Omo-Tonnen, haben sich provisorisch dazugesellt.
Ab und an klingelt auch das Telefon mit der Aufschrift "Hörer nicht abheben!" Es steht auf dem Tisch neben Christopher, der an einem von drei Bildschirmen sitzt und Daten-Klumpen an seiner Mattscheibe vorbeifallen läßt. Vor einem anderen Telefon hängt ein Blatt: "Hörer abnehmen und melden ´Guten Tag, FoeBuD e.V. in Bielefeld ´. Den Anrufenden mit Namen ansprechen. Immer freundlich bleiben."
Das Telefon, dessen Hörer abgehoben werden soll, klingelt. "Guten Tag, FoeBuD e.V. in Bielefeld, Christopher Kreuzig", singt Christopher in den Hörer. Er ist einer von drei Systembetreuern der Bielefelder "//BIONIC"-Mailbox. Betrieben wird sie vom "Verein zur Förderung des öffentlichen bewegten und unbewegten Datenverkehrs e.V.", kurz "FoeBuD". In ihm, heißt es, reichert sich seit Jahren die nationale geistige Elite derjenigen an, die wissen, wozu Modems und hohe Telefonrechnungen taugen.
Die Vereinigung mit dem schillernden Namen gibt selbst ihren Mitgliedern Rätsel auf: "Es war eine reine Gefühlsentscheidung, hier mitzuarbeiten", erinnert sich Mathematiker Christopher. Für seinen Dienst pendelt er regelmäßig eine Bahnstunde weit ein. "Was die Arbeit aber genau ist, das ist auf Anhieb schwer zu beschreiben", fügt er bedächtig an. Auch sein Kollege Michael zeigt Treue: "Ich habe in Aachen studiert und gemerkt, das macht keinen Sinn dort. Hier ist einfach der Nabel der Welt." Jetzt studiert er Informatik in Bielefeld, am liebsten beim sinnstiftenden, schillernden FoeBuD.
Auch die Sinnstifter schillern in Bielefeld: Künstlerin Rena Tangens und Künstler padeluun stellen Mitte der 80er schon mal eine Hysterikerin aus, einen Einbrecher – oder eben den "Chaos Computer Club", den "CCC". Der Hacker-Haufen um Computer-Charismatiker Herwart "Wau" Holland-Moritz strebt mit spektakulären Aktionen gerade größerer Popularität entgegen. Drei Tage und Nächte lang hacken die Chaoten, zum Kunstwerk erhoben, öffentlich in Bielefeld. "Die Leute verursachten bei mir damals ein Kribbeln, das ich schon lange gesucht hatte", wird sich padeluun daran erinnern.
Im Stockwerk über den Clubräumen steht Rena am Kopierer. "Hallo", sagt sie knapp und reicht kurz ihre Hand zur Begrüßung, dann die dicke Pressemappe. Sie kniet sich über den Stapel Papier am Boden und ist für die nächsten Stunden wieder in Arbeit versunken. Journalisten, die den Verein zunehmend heimsuchen, behandelt der FoeBuD zuvorkommend und abwartend. Seit kurzem sehr abwartend: Gegen einen RTL-Bericht zur Oklahoma-Katastrophe, der tönte, in der FoeBuD-Mailbox gäben sich, wie überhaupt in den elektronischen Netzen, "Pyromanen Tips" für Bomben-Anschläge, hat er gerade Strafanzeige erstattet und den Presserat eingeschaltet.
Heute freilich hat Rena ohnehin Besseres zu tun: Der FoeBuD hat Freunde zu einer Party in einen Steinbruch geladen, auf der den beiden Chips-Tonnen eine zentrale Rolle zugedacht ist. Gäste aus Amsterdam, Hamburg und Köln werden erwartet, bis dahin muß der Bürokram erledigt sein. "Es ist eine Ehre für Dich, dabeizusein", sagt Rena später. Auch Mailbox-Betreuer Michael sitzt jetzt bei ihr in dem seltsam properen Büro im ersten Stock vor einem Computerschirm und ordnet noch schnell einige Datenklumpen. Iterierend klingeln Tisch- und Mobiltelefon. "Zerberus GmbH, Michael Rademacher, guten Tag" oder "Ja?" meldet er sich.
Noch vor dem FoeBuD rufen die Künstler 1986 die "public domain" ins Leben, anfänglich ein monatliches Hobbyisten-Treffen in Bielefelds Kulturzentrum "Bunker Ulmenwall". In den fensterlosen Keller schleppen User ihre Rechner, zeigen Eigenentwicklungen, kopieren "public domain"-Software und gerne auch weniger frei kopierbare. Bald aber verdrängt Geist die Hardware: Vorträge mit schillernden Titeln wie "Künstliche Dummheit" oder "Stoned Blackjack Wants Cookie" über schillernde Themen wie die Arbeit in einer Potsdamer LPG, Delphinkommunikation oder Mailboxsteuerung per Hirnstrom machen die Bunker-Treffen bald zu einem bundesweiten Szene-Ereignis. Menschen in Begleitung ihres Rechners zahlen aus Tradition heute noch ermäßigten Eintritt.
Im Bunker auch kommt es zur wenig feierlichen FoeBuD-Gründung: Per Modem wird die Vereins-Satzung vom Rechner des CCC geholt, vor sieben Anwesenden verlesen und ohne Diskurs verabschiedet. Einem beiwohnenden CCCler, als Post-Angestellter des Amtsdeutschen mächtig, fällt noch schnell der wichtig klingende Vereins-Name ein, der Ahnungslose am Telefon schon mal auf eine Behörde schließen läßt.
Bis heute betrachtet der CCC den FoeBuD als seine "aktive Zelle in Bielefeld". Eine Hirnzelle vielleicht: Während der große Torso CCC mit seinen offiziell 300 Mitgliedern eher vom Nachruhm spektakulärer "Hacks" zehrt, konzentrieren sich die offiziellen 80 Mitglieder des kleinen FoeBuD auf netzpolitische Graswurzelarbeit: "Wir wollten uns nicht mit einem verwegenen Flair umgeben", sagt padeluun, "sondern ein fruchtbares Umfeld bieten, in dem es möglich ist, neue Technologien in die Gesellschaft zu tragen." So etwas hören Journalisten von den Leitmedien weniger gern als die Räuberpistole vom letzten Groß-Hack, und ab und an trägt man den gezähmten "Häckern und Häcksen" auch an, "ob wir nicht mal bitteschön was wirklich Spektakuläres machen könnten".
Das Umfeld ist dennoch fruchtbar. 1989 leistete sich der FoeBuD seine eigene "//BIONIC"-Mailbox, gleich zu Beginn angeschlossen an das mit vielleicht 700 registrierten und zahllosen nicht registrierten Systemen heute größte private Computernetz in Deutschland, das "Z-Netz". Es wird von einem betont nichttechnischen Flair umweht und erfuhr seinen Initiationsschub nach Tschernobyl: Kritische Bürger übermittelten eigene Meßwerte im eigenen Netz, das seine Daten Nachts per Telefon automatisch von System zu System schob.
Bald übernimmt der fleißige FoeBuD eine wichtige Rolle im basisdemokratischen Verbund der archaischen, aber unabhängigen Bürgernetze, die heute trotz Infobahn-Euphorie munter weiterwachsen. Rena Tangens, die seit 1989 auf dem alljährlichen CCC-Großereignis "Chaos Communication Congress" regelmäßig ein Seminar über "feminines Computerhandling" hält, ist ein Häcksen-Keim im Männerbund: "Als ich zum ersten Mal auf den Kongreß kam, war Wau Hollands Freundin neben mir die einzige Frau dort", erinnert sie sich. In den Netzen gibt es noch heute kaum mehr als vier Prozent Frauen, im FoeBuD ist ihr Anteil immerhin viermal so hoch.
Die FoeBuDler arbeiten an der Verbesserung der namensstiftenden Z-Netz-Software "ZERBERUS" mit und einige haben bald darauf im gepflegten Bielefelder Büro, im Stockwerk über dem Clubkeller, mit der "ZERBERUS GmbH" den Zentralvetrieb des Programms übernommen. Die liebevoll gehegte "//BIONIC"-Box entwickelt sich vom Beistell-Schränkchen zum regalefüllenden, vernetzten Rechnerpark, bildet heute einen der wichtigsten Z-Netz-Knoten und hat trotz ländlichem Standort 900 Nutzer, viele davon außerhalb der Region oder gar im Ausland.
Die Fete im Steinbruch hat bis fünf Uhr morgens gedauert. Padeluun betritt übernächtigt, in Jeansjacke und Springerstiefeln, die kleine Bühne im Bunker Ulmenwall. Er hebt die Stimme: "Ich begrüße aus Amsterdam Rop Gonggrijp". Applaus. Der bekannte Ur-Hacker soll über Widerstand in einem elektronischen Überwachungsstaat sprechen, Szene aus einem Radius von 200 Kilometern ist angereist. Padeluun gibt Rop förmlich die Hand und lächelt in die Videokamera. "Guten Tag", sagt er betont steif. Stille. "Wir haben uns zwar schon heute Nacht gesehen, aber das wirkt immer so professionell." Lachen.
Auch auf der getragenen Computermesse CeBit schillern die Sinnstifter passend zur Umgebung. Dort hat der FoeBuD in einer aussteller-finanzierten Alternativ-Halle einen privilegierten Dauer-Platz und dort hält padeluun im 1000-Marks-Anzug aus dem Stand geschliffene Reden, umsorgt mit Rena gewandt die vorbeiströmenden Politiker, ziehen die FoeBuDler das saturierte Fachpublikum ins Gespräch. Irgendwie schafft es sogar jemand, allen Hackern einmal im Jahr eine Krawatte umzubinden.
Der Verein erreicht, was den vielen technisch so gewandten Häckern und wenigen Häcksen lange Zeit versagt blieb: Er hackt die Gesellschaft – und verschafft Ideen der nicht krawattenkompatiblen Basis Gehör. FoeBuDler werden auf Kongressen herumgereicht, beraten die Bundesparteien bei der Einrichtung eigener Netze, lesen einen Partei-Entwurf für die G7-Kommission gegen und stellen fest, daß niemand auch nur an die Erwähnung von "Demokratie" gedacht hat, monieren an einem Papier für das Europäische Parlament über die Zukunft der Informationsgesellschaft, daß die existierenden Bürgernetze schlicht übergangen werden, führen "intensive Gespräche" mit Rita Süßmuth über das Einbringen der Bundestagspapiere in die Bürgernetze und scheitern beim Apparat mit der Forderung, irgendjemand müsse auch die rücklaufenden Kommentare in den Bundestag einbringen. Daß Netzpolitiker bidirektional denken, bleibt Verwaltungsdemokraten suspekt.
Der größte Gesellschafts-Hack aber ist perfekt, wenn ein Förder-Antrag bewilligt wird, den der FoeBuD gerade gestellt hat. Mit stattlichen Mitteln soll ein Konzept umgesetzt werden, das die Netzpolitiker seit Jahren vor sich hertragen – das "Mediencafe". Ein Caféhaus, in dem der Ober auch gleich beratender Daten-Broker ist und die Wirtin zum Gebäck Terminals vorhält, sollen die demokratische Technik in der breiten Bevölkerung verankern, integrierte Seminarräume den Bürgern ihre Netze nahebringen. "In jeder Stadt sollte solch ein Feuer unterhalten werden, um das sich die Leute scharen, weil sie sich da wohlfühlen", träumt padeluun. "Wir hätten dann ein neues Berufsbild geschaffen: den Informationsköhler."
Die wichtigsten Datenfeuer indes, die der FoeBuD je schüren half, brennen in Zagreb, Belgrad, Ljubiljana, Sarajevo, Pristina und Tuzla. Dort stehen sechs "ZERBERUS"-Systeme, die das "Zamir Transnational Net" bilden, ein überregionales Computernetz "za mir", "für den Frieden". Über die Gräben der verfeindeten Parteien hinweg, die ihre Post- und Telefonverbindungen zueinander größtenteils gekappt haben, kommunizieren derzeit 1600 Privatleute und 250 Organisationen per Datenverbund. Zentraler Zensurbrecher ist ein Computer im FoeBuD-Keller, der alle Stationen pro Tag bis zu zwölfmal anruft und Privatpost wie Beiträge für die öffentlichen Zamir-Foren, in denen problemlos durcheinander serbisch, kroatisch, slowenisch, mazedonisch, bosnisch oder ungarisch geredet wird, hin- und herschaufelt. Übers Netz koordinieren Friedensgruppen und Hilfsorganisationen grenzüberschreitend ihre Einsätze, holen sich Menschen unabhängige Informationen von UNO oder Nachrichtenagenturen, kontaktieren sie Verwandte im Ausland oder schreiben Hilfsaufrufe, wird das inzwischen weltbekannte "Zagreb-Tagebuch" des holländischen Friedensarbeiters Wam Kat in die Netze geschickt.
FoeBuD-Mitglied Eric Bachmann, ursprünglich vom Mindener "Bund für soziale Verteidigung" aus im Krisengebiet unterwegs, installierte die Systeme unter schwierigen Bedingungen: "Telefonleitungen sind kaum zu bekommen, hie und da müssen wir über Nacht eine Faxleitung leihen. Auch die ständigen Stromausfälle in manchen Gebieten machen uns zu schaffen." Mit Behörden allerdings gab es bisher keinen Ärger: "Im kroatischen Fernsehen wurde einmal über unsere ´linksradikale, staatsfeindliche Propaganda´ berichtet. Aber man läßt uns in Ruhe."
Bis zum Jahresende will US-Bürger Bachmann, der ständig zwischen Deutschland und den Krisengebieten pendelt und inzwischen von Stiftungsgeldern finanziert wird, neue Netzknoten in Bosnien und Mazedonien installieren. Die Zamir-Hauptstation, die ursprünglich in Wien stand, hat er einst "wegen des zuverlässigsten Service, den ich kenne" in die deutsche Provinz verlegt, an den Nabel der Welt.