Heisser Kaffee in der Vokue Rampenplan

Die G8-Camps sind Ruheräume für die Kritiker des Gipfels und nehmen eine »andere Welt« im Kleinen vorweg

 
Von Susanne Götze, Rostock 
 
Seit gut einer halben Woche halten die G8-Gegner die Welt in Atem. Während auf der Straße der Aufstand geprobt wird und sich durch die Ereignisse alles um die Gewaltfrage dreht, entstehen in den Camps friedliche Parallelwelten, in denen die «andere Welt« schon mal ausprobiert wird.


Wo schläft eigentlich der »Schwarze Block«? Das mag sich mancher Polizist, Journalist oder Politiker fragen. Doch wer um derartige Kategorien bemüht ist, wird enttäuscht sein: Die »Schwarzen« essen und schlafen gemeinsam mit allen anderen. Denn dort, wo das Zusammenleben anfängt, lösen sich die Fronten auf – die zudem vielleicht gar keine waren.
Wie bunt die Bewegung wirklich ist, zeigen die Camps, die rund um den Tagungsort der G8 aufgebaut worden sind. Die »Schutz- und Ruheräume«, wie es in einer Selbstdarstellung der Organisatoren heißt, liegen bei Wichmannsdorf, Reddelich und Rostock. Insgesamt sind rund 20 000 G8-Gegner in den Camps untergebracht. Der größte Teil davon in Rostock.
Von einem Ruheraum kann allerdings im Rostock-Camp kaum die Rede sein. Rund um die Uhr sind dort die Aktivisten auf den Beinen, um zu feiern, zu diskutieren, die nächste »Vokü« (Volksküche) vorzubereiten. Kaum haben früh um vier die letzten Gitarrenspieler eingepackt und sich die letzten Diskussionsrunden aufgelöst, dampft in den riesigen Kesseln der niederländischen Volksküche Rampenplan schon der frisch gebrühte Kaffee für die Frühaufsteher. Und selbst das Feiern ist politisch: Bei den Internationalen Hedonisten am Ufer des Rostocker Hafens werden die zu heißen Beats tanzenden G8-Gegner ab und zu darauf hingewiesen, dass es am nächsten Tag wieder früh los geht und Aktivismus auch bedeutet, fit zu sein.
Außer der Rund-um-die-Uhr-Beschallung bietet das Camp alles, was die Protestler brauchen, um eine Woche lang jeden Tag aufs Neue die Straßen rund um Heiligendamm zu erobern. Am Eingang des Camps befinden sich zahlreiche Stände, die 24 Stunden besetzt sind und Informationen vermitteln – das A und O jeder gelungenen Aktion. An riesigen Karten sind Ort und Zeit der Kundgebungen, Blockaden und Demozüge eingezeichnet. Daneben stehen selbst gebastelte Pinnwände, an denen die Aktionen, Workshops und Trainings der Woche vermerkt sind. Auch für das leibliche Wohl ist gesorgt. Mehrere Volksküchen, die kräftige Unterstützung bei Abwasch und Schnippelarbeiten von den Campern bekommen, sorgen dafür, dass sich von früh bis spät hungrige und erschöpfte Demonstranten stärken können.

Wachtürme, Infostände und Bars
Überhaupt ist das Camp wie eine Art kleine Stadt, deren Infrastruktur in mühseliger Arbeit schon Wochen vorher von fahrenden Handwerkern und freiwilligen Helfern aufgebaut wurde. Dabei wurde Erstaunliches zustande gebracht: Wachtürme und Schranken, Bars und Stände zeigen, was hier ohne große finanzielle Unterstützung, aber mit viel Einsatz geht. Genau das ist es auch, was die Organisatoren wollen: Die Protestler sollen nicht nur stumme Konsumenten der vorgefundenen Infrastruktur sein, sondern selber aktiv werden. Das ist nicht nur ein Notbehelf mangels fehlender Kapazitäten. Vielmehr geht es darum – und das ist auch deutlich zu spüren, sobald man das Camp betritt – klarzumachen, dass Selbstorganisation Grundlage eines Protestes mit langem Atem ist.
Interessant ist deshalb auch der innere Aufbau, der bei allen drei G8-Camps gleich ist. Die Aktivisten haben sich Barrios zugeteilt, die autonom agieren und sich mit einer eigenen Infrastruktur versehen: Feuerstellen, Gemeinschaftszelte, Musik, Kulturprogramm. Gibt es wichtige Dinge zu entscheiden, die das ganze Camp betreffen, tragen Abgesandte der Barrios die Vorstellungen ihrer Gruppe vor. Große Plena finden jeden Morgen um acht Uhr und je nach Situation auch abends im großen Zirkuszelt statt – dort sitzen dann bis zu 200 Camper auf Strohballen, um basisdemokratisch alle Fragen zu besprechen. Erster Grundsatz: Jeder kommt zu Wort und jedem wird auch zugehört. Anders als in so manch einem deutschen Parlament laufen die Diskussionen hier sachlich und ruhig ab – so unterschiedlich die Camper auch sind.

Wasserwerfer ante portas
Während es in Reddelich und Wichmannsdorf bis jetzt noch relativ ruhig zuging, gab es im Rostocker Camp seit letzten Freitag schon einige brenzlige Situationen. Nach den Ausschreitungen bei der Großdemo fuhr die Polizei mit einem massiven Aufgebot vor das Camp. Als am Abend eine Spontandemo für die Freilassung der Gefangenen starten wollte, wurde diese kurz hinter dem Lager mit Hilfe unzähliger Einsatzwagen und einem Wasserwerfer abgefangen. Nach den schweren Auseinandersetzungen befürchteten die Camp-Insassen sogar, dass die Polizei das Camp auflösen oder gar stürmen könnte.
Ab heute werden für beide Seiten – Demonstranten und Staatsmacht – die Camps interessanter, die näher an Heiligendamm liegen. Fährt man von Rostock aus Richtung Reddelich, passiert man kurz vor dem Ortseingang des verschlafenen Dorfes, an dessen Rand das Camp liegt, eine Straße, die nach Heiligendamm führt, aber derzeit gesperrt ist: Neun Kilometer zeigt das unscheinbare Schild an. Viele Camper wechselten deshalb schon Anfang der Woche nach Reddelich Doch die Kapazitäten des viel kleineren Camps sind begrenzt. Ähnlich wie in Rostock am Wochenende wird jetzt auch in Reddelich und Wichmannsdorf um jeden Zentimeter für die Zelte gekämpft.
Dem Leben in den Camps tut das jedoch keinen Abbruch: Hier wird Luft geholt nach den meist nervenaufreibenden und körperlich anstrengenden Demos und Aktionen, die mittlerweile im Stundentakt stattfinden. Dennoch sind die Camps weit mehr als »Ruhe- und Schutzräume«. Vielmehr zeigt das bunte Zusammenleben, wie die Bewegung untereinander kommuniziert, sich solidarisiert und zusammenhält. Das betonte auch Werner Rätz von Attac am Samstag auf der Großdemonstration: »Die andere, bessere Welt ist nicht nur möglich, sie ist auch schon da!«, rief er den Demonstranten zu, die gerade etwas verängstigt durch die ersten Polizeiattacken am Rostocker Hafen standen. »Denn ihr seid die bessere Welt.«

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