Mit einer Orange kann ich viel machen

Der Freiburger Verlag Orange Press im Portraet

Von Nils Kahlefendt

In Freiburg haben sie die Antennen auf den Zeitgeist gerichtet. Buecher ueber „Guerrilla Gardening“ oder den Protestkoch Wam Kat finden sich im Programm des jungen Sachbuchverlags Orange Press. Rueckgrat des Verlags ist aber die „absolute“-Reihe zu Denkern und Schluesseldiskursen des 20. Jahrhunderts.

Unglaubliche 15 Jahre ist es her, dass die Band Tocotronic den tragikomischen Weltschmerz der Provinzjugend in einem Song namens „Freiburg“ verewigt hat. Seitdem ist viel Wasser die Dreisam hinuntergelaufen und in Berlin, Hamburg und Muenchen wurden jede Menge hippe Verlage gegruendet. Genau davon wollte Martin Baltes, der in Freiburg studiert hatte und dann irgendwie haengen geblieben war, strikt die Finger lassen. Er arbeitete fuer grosse und etwas kleinere Haeuser als freier uebersetzer und Lektor, das sollte reichen. Doch als Baltes zu Beginn der Nullerjahre fuer diverse deutsche Verlage als Scout in den USA auf Trueffelsuche ging, war es mit den guten Vorsaetzen vorbei.

„Man findet natuerlich Dinge vor auf diesem amerikanischen Markt, die keiner haben moechte, die einem interessant erscheinen. Und so bildet sich dann doch zwangslaeufig so eine Art Verlagsmatrix nebenher aus, wo man sich sagte: Das gibt’s doch ueberhaupt nicht! Warum moechte eigentlich niemand diese Buecher machen, die ja viel interessanter mir erschienen? Dann ist doch erst ein „virtueller Verlag“ entstanden – und irgendwann doch der Schritt gekommen, es zu riskieren. Und ansonsten habe ich dann einfach einen Businessplan geschrieben fuer den Verlag. So um 2000, 2001 waren die Banken durchaus noch in der Lage und bereit, auch so was Risikoreiches wie bedrucktes Papier zu finanzieren. „

Einen Namen, der fuer frische Ideen stehen und sich dazu noch leicht merken lassen sollte, hatte Baltes alsbald zur Hand:

„Orange Press schien mir da in vielerlei Hinsicht geeignet. Weil das recht assoziativ ist: Da steckt Yellow Press drin – ist aber dann doch nicht Yellow Press. Und mit einer Orange kann ich viel machen, das ist zugleich eine Form und das ist eine Farbe. Das ist was, womit man was tun kann, womit wir auf den ersten Messen natuerlich auch staerker gearbeitet haben. „

Der Verlagsstand, an dem zwischen Buechern kistenweise Suedfruechte kugelten, erweckte Aufmerksamkeit. In Zeiten, da man vom Zweiten Deutschen Fernsehen bis zum Modelabel Hugo Boss aufs Jugendlichkeit suggerierende Orange setzte, lag Baltes voll im Trend. Doch eine andere Weichenstellung war weitaus wichtiger: Waehrend die meisten der in jenen Jahren gestarteten jungen, unabhaengigen Verlage ihr Glueck mit Belletristik versuchten, setzte Orange Press von Beginn an auf ebenso anspruchsvolle wie zugaengliche Sachbuecher.

„Bevor der Name vom Verlag feststand, gab’s bereits das ganze Konzept der ‚absolute‘-Reihe, das wir im Grunde mit vier Personen entwickelt haben. Naemlich der Rainer Hoeltschl und Klaus Theweleit, die die ersten beiden Herausgeber der Reihe waren, zusammen mit unserer Grafikerin, der Annette Schneider aus Mainz, haben wir eben ein Sachbuch-Konzept erarbeitet, das wir bewusst gegen diese traditionellen ‚Einfuehrungen‘ stellen wollten. Und zwar in der Hinsicht, dass wir gesagt haben: Die Einfuehrung ist eigentlich eine Umgehungsstrasse. Das hilft mir, spaeter ueber irgendwelche Autoren zu reden, ohne jemals einen Satz von denen gelesen zu haben. Der andere grosse Nachteil – oder die andere grosse schlechte Dynamik der Einfuehrung ist: Der, der eine Einfuehrung schreibt, muss eigentlich immer so tun, als sei der Gegenstand, ueber den er schreibt, fuer den Leser zu schwierig. Und tut eigentlich das Gegenteil von dem, was er verspricht: Er oeffnet nicht den Diskurs, sondern er verschliesst den. Und wir wollten dem was entgegensetzen.“

Die „absolute“-Reihe, in der bis heute 17 Baende erschienen sind, bildet noch immer das Rueckrat des Verlags. Ihr Anspruch ist es, anhand ausgewaehlter Denkerinnen und Denker – das Spektrum reicht von Charles Darwin ueber Paul Feyerabend und Noam Chomsky bis zu Foucault, Baudrillard oder Simone de Beauvoir – Schluesseldiskurse des 20. Jahrhunderts darzustellen – und damit den Einstieg in die Diskussionskultur des 21. Jahrhunderts vorzubereiten. Im besten Fall entstehen so intellektuelle Biografien, in denen sich Lebensgeschichte und theoretisches Werk zu einem organischen Ganzen verbinden. Doch auch fuer Reader zu Parapsychologie oder – derzeit hochaktuell – Feminismus – ist die Reihe offen.

Sammelbaende, die das Format restlos sprengen wuerden, erscheinen unter dem augenzwinkernd abgewandelten Reihentitel ‚absolute(ly)‘: Juengstes, hoechst unterhaltsames Beispiel ist „Big Lebowski“, ein Text-Feuerwerk amerikanischer Kulturwissenschaftler, deren Symposium zum Werk der Coen-Brueder in einer Bowlinghalle in Kentucky ueber die Buehne ging. ‚The Medium is the Message‘ – das weiss Baltes, seit er mit seinen Freiburger Studienkollegen Marshall McLuhan uebersetzte. Auch Theorie kann ‚cool‘ sein, wenn man sie entsprechend verpackt.

„In der Reflexion ueber den Verlag, da war diese „Elektrifizierung“ des Buchs natuerlich durchaus schon Thema. Das heisst, zu ueberlegen: Was macht man: Wie muessen eigentlich Buecher gestaltet werden? Welche Inhalte transportieren und wie aussehen? Welche Funktion erfuellen? In einem Umfeld, das tendenziell den Buchdruck beseitigt? Und von daher war das fuer uns ganz wichtig, dass die Buecher ein auffaelliges Format haben, ein auffaelliges Erscheinungsbild haben. Dass man auf alles achtet: Auf Bindung, auf Papier, auf Schriften und auf die gesamte Gestaltung.“

Anfangs wurden die Titel der „absolute“-Reihe sogar in Schweizer Broschur produziert, wobei die Heftfaeden in der Farbe des Umschlags gehalten waren. Nachdem unbedarfte Buchhaendler, des offenen Rueckens wegen, „Maengelexemplare“ in Serie remittierten, gab man die bibliophile Raffinesse, schweren Herzens, auf. Treu geblieben ist sich Orange Press im Willen, schoene, aus dem Rahmen fallende Sach-Titel zu Themen zu publizieren, die in der Luft liegen: Von Bankenkrise und Genfood bis zu „Guerilla Gardening“ und dem laengst faelligen Auto-Buch fuer unsere post-automobile Gesellschaft, in der die Bahn-Card 100 die frisch geputzte S-Klasse im Vorgarten als Statussymbol abgeloest hat.

All das Buecher, die natuerlich auch in Konzernverlagen erscheinen koennten. Undine Loehfelm, die vor fuenf Jahren ihren Job als Art Directorin einer grossen niederlaendischen Wochenzeitung quittierte und heute in Freiburg die Zuegel in der Hand haelt, erklaert, warum Orange Press nicht selten die Nase vorn hat:

„Es hat mit der Schnelligkeit sicher was zu tun, aber es ist auch irgendwie der Vorteil des Gespuers und der Zufaelligkeit in der Kombination. So haben wir zum Beispiel das ‚Guerilla Gardening‘ entdeckt – da habe ich in einer winzigen hollaendischen Publikation einen Hinweis drauf gesehen. Und dann ist es nun mal so, dass das irgendwie nicht weiter gereicht wird zu einer anderen Abteilung, die dann eventuell drauf reagiert oder so. Sondern ich hab‘ direkt angerufen.“

In Freiburg haben sie die Antennen auf den Zeitgeist gerichtet. Manchmal hilft auch der Zufall kraeftig mit – wie im Fall der „24 Rezepte zur kulinarischen Weltverbesserung“, ein Buch des hollaendischen Kuechen-Guerrilleros Wam Kat.

Martin Baltes:

„Das ist so entstanden, dass mein Sohn auf’m G 8-Gipfel rumdemonstriert hat. Und zurueckkam und sagte: Boa, ich war in so’nem Camp, und das Essen war ganz toll. Und das war immerhin in einem Camp, in dem vielleicht 10.000 Leute oder so was verkoestigt wurden. Und dann zwei Tage spaeter kommt er mit der TAZ und sagt: Schau mal, der Typ war das uebrigens, der hat da gekocht. Und, ja, dann haben wir direkt mit ihm Kontakt aufgenommen und ihn gefragt: Was haeltst du davon? Hast du nicht Lust, ein politisches Buch mit Geschichten und Rezepten zu machen, die so deine verschiedenen politischen Aktivitaeten von der Besetzer-Szene in Holland ueber die Friedensmaersche und die Aktivitaeten in Jugoslawien abdecken koennen? Und das Ganze sehr konkret irgendwie erzaehlen, mit den Materialien, und wie macht man das ueberhaupt? Wenn man 500 Kilo Reis kochen muss und so.“

Bei Verlagen wie Orange Press, die nur ueber ein aeusserst schmales Werbe-Budget verfuegen, sollte jedes Buch eine eigene „Plattform“ mitbringen. Das kann, wie im Fall von Wam Kat, der Autor selbst sein, der mit seiner „Fahrenden Geruechtekueche“ auf Tour geht; oft ist auch ein rundes Jubilaeum hilfreich. Bei „Making Woodstock“ ging die Sache schief; die meisten Journalisten benutzen die mit lakonischem Charme erzaehlte Geschichte des legendaeren Festivals im letzten Jahr lediglich als billige Info-Quelle. Kommerziell am erfolgreichsten waren fuer Orange Press bislang jene Buecher, die zu Kinofilmen des oesterreichers Erwin Wagenhofer erschienen sind. Von „We feed the World“ und „Let’s make Money“ wurden jeweils 20.000 Exemplare verkauft, Lizenzen gingen nach Frankreich und Korea.

Undine Loehfelm:

„Irgendwann ist es so, dass die Leute, die die Filme machen, auf uns zukommen und sagen: Es ist ein Prinzip, was uns ueberzeugt. Dass Dokumentarfilme ueberhaupt im Kino laufen, die einen anderen Anspruch haben als zu sagen, es sind Tierfilme fuer die ganze Familie, ist ein relativ neues Phaenomen. Aber wird staerker. Und da gibt es natuerlich auch einen Bedarf, Buecher zu machen zu komplexen Themen, die der Film zwar anreissen kann und emotional ein bisschen aufwerfen kann – aber eben nicht erklaeren kann.“

Kein Zufall, dass die uebersetzung des Sachbuch-Bestsellers „Dreamland“, in dem der junge islaendische Autor und Filmemacher Andri Magnason den Turbo-Kapitalismus der Banken und den Ausverkauf der Natur an international agierende Konzerne beschreibt, im kommenden Fruehjahr bei Orange Press erscheinen wird. Der kollegiale Tipp kam von einem grossen deutschen Verlag. Derlei Anerkennung tut gut, trotzdem bleiben sie in Freiburg auf dem Teppich. Noch haben Buchtitel wie „Let’s make Money“ keinen Einfluss auf das verlegerische Unterbewusstsein.

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