„Ich hab‘ den Eindruck, alles war umsonst“

Belzig kommt nicht zur Ruhe: Steinwürfe gegen das Infocafé, Angriff auf ein vietnamesisches Restaurant (Tagegesspiegel (Berlin)18. Januar 1999)

BELZIG. Der bullige Bursche mit den freirasierten Schläfen zieht einen Mundwinkel hoch. "Det komische Teil is' dahinten, imma die Straße lang." Nach 100 Metern taucht ein Eckhaus auf, alt, niedrig, wie fast alle Gebäude in der Innenstadt von Belzig. Der Anblick ist tatsächlich auf makabere Weise "komisch". Zwei der drei Frontscheiben sind kreuz und quer mit breiten Klebestreifen zugepflastert. Die Eingangstür hat überhaupt keine Scheibe mehr, der Wind bläst in eine angeklebte Plastikfolie. Willkommen im "Infocafé'' Der Winkel’”

Hinter dem Tresen kommt ein langhaariger Mann hervor und lächelt. "Das Infocafé ist eben der Platz in Belzig, wo man Randale machen kann." Seit der Eröffnung im September letzten Jahres hat der Holländer Wam Kat fünf Angriffe gezählt. "Teilweise haben die Leute versucht, mit ihren Händen die Fenster rauszuschlagen. Dabei müssen sich einige verletzt haben. Anfang des Monats haben wir sogar Blut abgewischt."

Belzig ist schön. Eine idyllische kleine Stadt, ungefähr 100 Kilometer südwestlich von Berlin. 7700 Einwohner, eine Handvoll Geschäfte, ein saniertes Plattenbauviertel, eine große, restaurierte Burg. Auch beim zehnten oder elften Besuch bleibt rätselhaft, wie das Antlitz der Stadt zu den Meldungen paßt, aus denen sich ein düsteres Bild zusammensetzt. Da muß die Familie Schröder seit Ende 1994 Schikanen erdulden, weil sie den bei einem Skinhead-Überfall verletzten Ghanaer Martin Agyare aufgenommen hat. Auch Agyare wird in Belzig mehrmals bedroht. Asylbewerber aus dem Heim am Stadtrand trauen sich jahrelang nicht ins zwei Kilometer entfernte Zentrum, weil sie Angst vor Pöbeleien und Schlägen haben. Der Imbißcontainer eines Ausländers wird von oben bis unten mit SS-Runen und "Ausländer raus"-Parolen beschmiert. Unbekannte zerstören ein von Schülern gestaltetes Kunstobjekt mit 30 bemalten Pfählen – nur der Holzpflock in den Farben schwarz-rot-gold bleibt ohne Kratzer. Jede Hoffnung, positive Nachrichten könnten das Bild aufhellen, wird automatisch konterkariert.

Im Oktober 1997 gründen Bürgermeister, Stadtverordnete und engagierte Bürger das "Forum gegen Rechtsextremismus und Gewalt." Knapp ein Jahr später eröffnet das vom Forum initiierte "Infocafé. Das Lokal mit dem Touch alternativer Gemütlichkeit entwickelt sich rasch zur Begegnungsstätte für Ausländer und vier, fünf Dutzend Belzigern. Diesen Farbtupfer erträgt ein Teil der Belziger nicht. Doch das Infocafé ist nicht das einzige Haßobjekt. In der Silvesternacht findet die Randale 200 Meter entfernt statt, am Marktplatz.

"Da waren 40, 50 Skinheads", der Vietnamese beginnt das Gespräch ungewohnt laut. "Das ist heute noch ein Alptraum, was Silvester passiert ist". Aus Angst wollen weder der Asiate noch seine zwei Brüder ihre Namen veröffentlicht sehen. Obwohl in Belzig bekannt sein müßte, was sich vor dem Restaurant "Mekong" abgespielt hat. In den großen Scheiben klaffen Löcher. Davor darf sich immerhin der jüngere Bruder ablichten lassen. Mit seinem bandagierten linken Arm.

Silvester, gegen 23 Uhr 30. Die Vietnamesen verabschieden den letzten Gast und schließen ihr Restaurant. Zwei der drei Brüder wollen um die Ecke in einem italienischen Lokal ins neue Jahr reinfeiern. Doch der Italiener hat seine Tür verschlossen. Auf der Straße werfen Skinheads mit Knallkörpern um sich. Ein Glatzkopf zeigt auf die Vietnamesen und ruft, "die lassen wir nicht entkommen!" Die beiden Männer rennen zu ihrem Restaurant zurück. Der Bruder läßt sie schnell rein. Aber zwei, drei Rechtsradikale bekommen die Tür zu fassen. In Panik zerren die Vietnamesen an der Klinke. Der jüngste Bruder beugt sich vor, um einen großen Kracher von der Schwelle zu treten. Da sticht ihm einer der Schläger in den Arm.

Irgendwie gelingt es den Vietnamesen, die Tür ins Schloß zu ziehen. Einer ruft die Polizei. Plötzlich knallt eine Sektflasche durch die rechte große Scheibe. Knaller fliegen hinterher. Die Vietnamesen flüchten in die erste Etage und schließen sich ein. Nach einer halben Stunde kommt ein Streifenwagen. Die Skins pöbeln die Beamten an, "was wollt ihr blöden Bullen hier?" Dennoch nehmen die Polizisten, als Verstärkung eintrifft, einen jungen Mann fest. Die Vietnamesen wollen ihn als Messerstecher erkannt haben. Dann rückt die Polizei ab. Die Skinheads bleiben. Ein Pflasterstein durchschlägt die zweite große Scheibe, wieder folgen Knallkörper. Die Vietnamesen verbarrikadieren sich nochmal in der ersten Etage.

So lautet die Version der drei Brüder. Der jüngste kann die linke Hand kaum bewegen. Die Vietnamesen sind immer noch empört – und enttäuscht. Von den Nachbarn, die nicht halfen. Von der Polizei, die nicht sofort kam und obendrein den Platz nicht räumte. Von den Stadtvätern, die auch zwei Wochen nach dem Überfall den Weg vom schräg gegenüberliegenden Rathaus zum Restaurant nicht gefunden haben. Von Belzig überhaupt, weil in der Stadt Gerüchte zu hören seien, es habe sich um eine ganz normale Schlägerei gehandelt.

Alfons Stefaniak leitet die Belziger Wache. Der wuchtige Hauptkommissar sagt, "bei der Sache mit dem China-Restaurant haben wir keinen Hinweis auf Skinheads". Die Szene sei zur Zeit ruhig. Daß die Vietnamesen eine halbe Stunde auf die Polizei warten mußten, hält Stefaniak für "denkbar". Der Notruf 110 werde vom Polizeipräsidium Potsdam entgegengenommen. "Die haben sich dann um ein Uhr vier bei uns gemeldet, um ein Uhr sieben war der Funkwagen am Restaurant." Der 16 Jahre alte Jugendliche, den die Vietnamesen als Messerstecher identifiziert haben wollen, "hat eine normale Frisur. Und der sagt, er weiß nur, daß es einen Tumult gegeben hat und Leute aus Brandenburg / Havel waren da." Mehr Kopfzerbrechen bereiten Stefaniak die Angriffe auf das Infocafé, zuletzt in der Nacht zum 2. Januar. "Das wird ein Schwerpunkt unserer Ermittlungen, denn das Infocafé könnte sich als Reizobjekt auch für unpolitische Jugendliche herauskristallisieren." Nach den jüngsten Steinwürfen vor zwei Wochen seien drei Tatverdächtige im Alter zwischen 13 und 16 Jahren ermittelt worden. Ihr Motiv ist Stefaniak unbekannt. Einen Zusammenhang zwischen der Silvesterrandale am Restaurant "Mekong" und den Attacken gegen das Infocafé “gibt es nach derzeitigen Erkenntnissen nicht".

Im Jugendzentrum "Pogo" sitzt ein Kurzhaarjüngling. Dunkelblaue Donkey-Jacke, rote Schnürstiefel, gleichfarbige Schnürsenkel. Ein Rechter? "Det sieht man doch! Die roten Schnürsenkel stehn'' für Blut und Ehre." Kurzer Huster. "Blut und Ehre, bis zum letzten Tropfen. Fürs deutsche Vaterland." Was weiß er von dem Angriff auf das Lokal der Vietnamesen? "Ick war mit dabeijewesen. Wir haben draußen jefeiert, da ham die uns voll bedroht. Ick hab'' ''ne Sektpulle abjekricht, am Kopp." Eine Narbe gibt es nicht. War er beim Arzt? "Nö, war nich'' so schlimm." Was ist mit dem Infocafé ? "Na – det war von vornherein klar. Da jibts von Zeit zu Zeit ''ne Krise." Kennt er einen der Steinewerfer? Der 15jährige grinst. "Klar."

Martin Kunze ist stellvertretender Bürgermeister und engagiert sich im Forum gegen Rechtsextremismus und Gewalt. Der Sozialdemokrat mit dem Vollbart legt auch Wert darauf, daß immer die Stadt zu den Sitzungen des Forums einlädt. Warum ist er noch nicht die paar Meter über den Marktplatz zum Restaurant der Vietnamesen gegangen? "Ich war bis zum vergangenen Montag in Urlaub. Außerdem gibt es die Aussage der Polizei, daß ein rechtsradikaler Hintergrund nicht zu erkennen ist. Und mit dem Ordnungsamtsleiter konnte ich mich nicht kurzschließen, weil er krank ist." Kann Kunze verstehen, daß sich die Vietnamesen im Stich gelassen fühlen? "Ich teile diese Betrachtungsweise nicht. Aber ich mache dazu jetzt keine weiteren Aussagen mehr."

Donnerstag abend im Infocafé. Wegen der jüngsten Überfälle ist eine Sitzung des Forums einberufen worden. Ausnahmsweise nicht von der Stadt, die Regionale Arbeitsstelle für Ausländerfragen hat eingeladen. Doch diese macht nachmittags einen Rückzieher, wohl um einen Konflikt mit der empfindlichen Stadtverwaltung zu vermeiden. Trotzdem trifft sich am Abend ein Dutzend Leute. Der stellvertretende Bürgermeister ist nicht dabei, auch sonst niemand von der Stadtverwaltung. Dafür kommen die Vietnamesen vom Restaurant "Mekong".

Ihre Schilderung treibt den Forumsleuten jegliches Lächeln aus dem Gesicht, "bis auf ein Jahr haben wir jedesmal Silvester Ärger gehabt". Doch Wam Kat, Petra Schröder und die zehn anderen wollen handeln. Sie tragen sich in eine Telefonliste ein, die den ausländischen Restaurants zur Verfügung gestellt werden soll – damit beim nächsten Krawall nicht eine halbe Stunde auf die Polizei und vergebens auf die Nachbarn gewartet werden muß. Der einzige anwesende Stadtverordnete, Olaf Präger von der PDS, will bei der kommenden Tagung des Parlaments dafür sorgen, daß einer der Vietnamesen dort reden kann. Die Asiaten ihrerseits laden das Forum zum vietnamesischen Neujahrsfest ein, Mitte Februar im Restaurant, "bitte kommen Sie alle und bringen viele Leute mit." Die Stimmung bleibt indes depressiv. Präger sagt, was offenbar alle denken: "Ich fühle mich wieder in die Zeit vor dem Oktober 1997 versetzt, bevor wir mit dem Forum angefangen haben." Petra Schröder, die Pflegemutter von Martin Agyare, schüttelt den Kopf: "Ich hab'' manchmal den Eindruck, es war alles umsonst

FRANK JANSEN .

© 1999 Verlag DER TAGESSPIEGEL

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