SPIEGEL-ONLINE-Kolumnist Niklaus Hablützel schickt Low-Tech nach Jugoslawien. Und hofft, daß unbehinderte, demokratische Information aus dem Internet doch noch friedensstiftend wirkt.
Von Niklaus Hablützel
Aus purer Schadenfreude wollte ich über Melissa schreiben. Und über CIH, den Virus, der auch "Tschernobyl" heißt, weil er an jedem 26. April aktiv wird. Die Programmierer von beiden sitzen inzwischen im Knast. Bill Gates, der ihnen die Arbeit so leicht wie nur möglich gemacht hat, noch nicht, aber immerhin vor Gericht, wenn auch nicht gerade wegen massenhafter Zerstörung von Daten, sondern nur wegen unanständiger Monopolgeschäfte.
Eine lustige Welt ist das. Was mich jedoch ganz speziell mit heimlicher und ebenfalls ziemlich unanständiger Freude erfüllt, ist der Umstand, daß der Schaden am Ende die Richtigen trifft. Man muß nicht unbedingt Windows mit Internet Explorer installieren. Es gibt brauchbare Alternativen. Und selbst wenn man es tut, gibt es immer noch keinen Grund, Word-Dokumente rund um die Welt zu schicken. Tatsächlich scheint jedoch vor allem in PR-Abteilungen deutscher Firmen die Meinung um sich zu greifen, Microsofts Office-Suite sei ein Internetprogramm. Dabei sagt doch schon der Name, daß es für Sekretärinnen geschrieben wurde. Trotzdem erhalte ich – berufsbedingt – täglich Monsterbriefe, deren einziger Inhalt ein angehängtes "Word-Document" ist. Ich habe eine Standardantwort auf Lager, in der ich mich für die Mühe bedanke und dem Absender mitteile, daß ich seine Datei bereits ungelesen gelöscht habe. Und zwar aus Prinzip, nicht sosehr aus Angst vor Melissa – weil ich Word nur ausnahmsweise benutze, könnten Makroviren bei mir kaum Schaden anrichten. Etwa 30 Prozent der so Gescholtenen schicken reumütig eine normale Mail, der Rest verstummt. Beides ist erfreulich und beweist, wie leicht es ist, Melissa ganz und Bill Gates wenigstens teilweise loszuwerden.
Wer einfach alles anklickt, was ausführbar ist, auch wenn es ihm ungefragt auf die Festplatte gespült wurde, nun, der ist halt selber schuld. Der mögliche Super-GAU seines PCs ist nur die gerechte Strafe dafür. Darüber wollte ich schreiben, aber leider gibt es weit wichtigere Dinge als Viren und Programme von Bill Gates. Wir führen Krieg und die Frage ist nicht abzuweisen, ob das Internet in irgendeiner Weise dazu beiträgt, ihn zu beenden. Nach sechs Wochen Bombardement und Völkermord ist die Antwort niederschmetternd. Sie lautet schlicht "Nein". Suchdienste für die Vertriebenen sind das einzige, was übrig blieb von den Hoffnungen, die dieses Medium nicht zuletzt im ehemaligen Jugoslawien einmal geweckt hatte, Hoffnungen auf unzensierte Nachrichten. Hoffnungen darauf, daß die unbehinderte, demokratische Kommunikation im Netz von sich aus friedensstiftend und befreiend wirke. Mailinglisten und Diskussionsforen quellen über von blinden Hetzparolen beider Seiten und seriöse Nachrichten über den Kosovo-Krieg sind im Internet, wenn überhaupt, nur auf den Webseiten der professionellen Nachrichtensender zu finden, bei der BBC oder bei CNN, dort also, wo vor kurzem noch jeder aufrechte Netzbürger einen Beweis für die gefährlich fortschreitende Kommerzialisierung des Web gefunden hätte. Nach der Übersicht über private Websites zum Thema bin ich dankbar für die journalistische Minimalmoral von CNN.
Noch dankbarer wäre ich, wenn jemand diese Diagnose widerlegte. Bislang muß ich sie für zutreffend halten, aber ich arbeite jetzt selbst an ihrer Verbesserung. Glücklicherweise habe ich Wam Kat kennengelernt, noch nicht persönlich, aber im Internet. Wam Kat ist ein alter Friedensaktivist und hat die legendäre Mailbox "Zamir" mitgegründet, die im Bosnienkrieg sehr aktiv war. Zamir war eine jener Hoffnungen des Internet. Heute sucht Wam Kat über das Web "Balkan Sunflowers". Darunter versteht er freiwillige Helfer für die Flüchtlingslager und seit gestern ist er auf dem Weg nach Jugoslawien, um dort wenn irgend möglich auch Zamir wiederaufzubauen. "Zamir" heißt übersetzt "Für den Frieden". Die Version 1.0 brach zusammen, als die Soros-Stiftung nach fünf Jahren ihre Unterstützung einstellte, aber Wam Kat ist so unbändig optimistisch, daß er glaubt, für das Kosovo die Version 2.0 zum Laufen zu bringen.
Nur stellte sich plötzlich heraus, daß sein eigener Laptop noch immer an einem bosnischen Kriegsschaden litt. Ich wollte ihm mein altes Notebook anbieten, aber das hätte nicht genützt, weil der Akku tot ist. Akkus hatten sich im Bosnienkrieg als überlebenswichtig erwiesen, weil es auch in Sarajevo fast nie möglich war, gleichzeitig eine funktionierende Telefonleitung und Strom aus der Steckdose zu organisieren. Bei der Zeitung, für die ich unter anderem arbeite und die eine der ärmsten in ganz Deutschland ist, habe ich schließlich einen alten "Compaq Aero" aufgetrieben, sogar mit einem zweiten, funktionstüchtigen Akku. Das Rechnerchen hat nur DOS und Windows 3.1 drauf, aber Wam Kat ist das völlig egal. Zamir ist Low-Tech, kann nur Low-Tech sein, sonst stürzt es ab wie ein Apache-Hubschrauber.
Zur Sicherheit habe ich noch einen Virenscanner darüber laufen lassen. Alles sauber, Wam Kat ist damit abgereist und jetzt warte ich auf seine Berichte. Nicht auf die Wahrheit über den Krieg übrigens, die komplexer ist als die Perspektive von Augenzeugen, aber doch auf Berichte, die so unbestechlich sind, daß ich ihnen mindestens ebenso vertrauen kann wie den Nachrichten von CNN. Offenbar muß man noch einmal von vorne anfangen, ganz unten bei den Graswurzeln, mit Leuten, die mit einer lächerlichen, alten Dose losziehen und allen Ernstes daran glauben, daß sie damit etwas ausrichten können. Wahrscheinlich ist diese Art von Wahnsinn das einzige, was uns wirklich weiter hilft.
Spiegel Online, 06. Mai 1999