Kommunikation statt Konfrontation

von Rena Tangens & padeluun, veröffentlicht in internet Taschenkalender 1998
Zamir Transnational Network
Das Netzwerk der Antikriegsbewegung im ehemaligen Jugoslawien

Als 1991 in Ex-Jugoslawien der offene Krieg ausbrach, wurden von staatlicher Seite aus nahezu alle Verbindungen zwischen Kroatien und Serbien unterbrochen. Es war nun nicht mehr möglich, zwischen beiden Landesteilen hin und her zu reisen oder über die neue Grenze hinweg ein Telefongespräch zu führen. Auch das Postsystem brach während des Krieges zusammen. Komunikation wurde unmöglich, speziell für jene, die auf verschiedenen Seiten der Front zusammenarbeiten wollten, z.B. Hilfsorganisationen und Friedensgruppen.

Diese Zusammenarbeit ist unermeßlich wichtig, gerade in Zeiten, in denen sich Vorurteile, Haß und Angst zwischen Menschen und Völkern verschiedener ethnischer Hintergründe fast widerstandslos ausbreiten. Für solch eine Zusammenarbeit müssen alte Freundschaften wiederbelebt und neue Bekanntschaften gefunden werden. So wurde das Projekt mit dem Arbeitstitel "Communication Aid" ins Leben gerufen. Es diente nicht nur dem Austausch von Briefen, Nachrichten und Ideen innerhalb der Friedensgruppen, sondern auch dazu, alle Menschen in den Gebieten der Kriegsparteien wieder miteinander kommunizieren zu lassen. Und den Kontakt mit dem Rest der Welt herzustellen und ungefilterte Informationen über den Zustand der Länder weitererzählen zu können.

Das ZAMIR-Netz begann zunächst mit Projekt "Communication Aid" als Fax-Dienst: Von Belgrad aus wurden Nachrichten per Fax nach London geschickt, die von Menschen dort im Büro wieder ins Faxgerät gesteckt und nach Zagreb weitergeschickt wurden. Und umgekehrt. Warum dieser Umweg? Nun, Not macht erfinderisch: Die Auslandstelefonverbindungen funktionierten in Serbien und Kroatien zumeist noch, auch wenn die Direktverbindungen unterbrochen worden waren. So konnte der Kontakt wiederhergestellt werden, aber das Verfahren per Fax war teuer in der Übertragung und umständlich durch die Weiterleitung von Hand. So wurde auf eine praktikablere Lösung gesonnen.

Der gebürtige US-Amerikaner Eric Bachman, der seit vielen Jahren in Deutschland lebt und in der Friedensarbeit engagiert ist, war schon von Beginn des Konfliktes an regelmäßig in Jugoslawien. Er entdeckte über die Bielefelder MailBox BIONIC die Möglichkeiten der Kommunikation per Computer und Modem. Hier suchten sich die Nachrichten fast von selbst einen Weg zu den Empfängerinnen. Innerhalb kürzester Zeit arbeitete er sich in die Technik ein, sammelte Hard- und Software-Spenden und suchte in Jugoslawien Partner, mit denen er eine solche Vernetzung aufbauen konnte.

So entschlossen sich dann auch nicht Computerfreaks, sondern eher politisch motivierte Menschen um die Kriegsgegnerkampagne in Zagreb und das Zentrum für kriegsgegnerische Aktionen in Belgrad, selber MailBox-Systeme aufzubauen. Im Juli 1992 wurde in beiden Städten je ein MailBox-System mit der deutschen Zerberus-Software eingerichtet: Die ZAMIR-BG und die ZAMIR-ZG. "ZaMir" heißt "für den Frieden", BG und ZG sind die Abkürzungen für Belgrad und Zagreb. Auch hier wurde die Verbindung zwischen beiden Systemen über den Umweg Ausland realisiert, und zwar zunächst über die LINK-ATU, die CL-MailBox[1] in Wien, die für die Verteilung der öffentlichen und privaten Nachrichten sorgte.

Da die Rechner und die Telefonanschlüsse in Zagreb und Belgrad tagsüber für andere Aufgaben gebraucht wurden, dauerte es in der Regel 12 bis 24 Stunden, bis Nachrichten die andere Seite erreichten. Öffentliche Nachrichten wurden auch in das APC-Netz[2] eingespielt, so erfuhren Menschen in aller Welt, was sich in Ex-Jugoslawien ereignete aus erster Hand.

Bekannt geworden sind die "Kriegstagebücher" von Wam Kat. Der Holländer kam als Helfer zum Anfang des Krieges nach Zagreb, blieb, schrieb dort sein ganz persönliches Tagebuch des Krieges und machte es über die Netze öffentlich. Wer dieses Tagebuch las, bekam einen anderen Eindruck von dem Krieg in Jugoslawien als aus den Berichten in der Zeitung oder dem Fernsehen. Wam Kat gab in seinem "Zagreb Diary" ausführliche Schilderungen der politischen Situation, der Kriegshandlungen, wie sie ihm von Leuten direkt berichtet wurden und kommentierte auch die Berichterstattung der lokalen Medien. Er beschrieb aber auch, was er den Tag über so getan hatte, seine Arbeit, welche Menschen er getroffen hatte, welche Musik er gehört hatte. Dabei ist es gerade die Schilderung der allgemeinen Lebensumstände und der alltäglichen Begebenheiten, die sich beim Straßenbahnfahren, Einkaufen oder beim Besuch von Freunden zutragen, die Außenstehenden ein Bild von dem normalen (oder doch nicht ganz normalen) Leben in Kroatien und Bosnien vermittelt — jenseits der Klischees vom Kriegsgebiet.

Ende 1992 — nach einigen Pannen — wurden Spenden gesammelt und an beiden Standorten Rechner installiert, die ausschließlich für den MailBox-Betrieb da waren. Auch bekamen die MailBoxen endlich eigene Telefonanschlüsse, d.h. es mußten keine "geborgten" Telefonleitungen mehr verwendet werden, die anderen Institutionen oder Firmen gehörten und tagsüber zu anderen Zwecken genutzt wurden. Was für ein Fortschritt das war, begreifen wir nur, wenn wir uns klarmachen, daß die Einrichtung einer neuen Telefonleitung in Kroatien nicht wie in Deutschland 65 DM, sondern etwa 1500 DM kostet. Eric Bachman begann, Freiwillige auszubilden, die die Systemarbeiten an den MailBoxen übernehmen sollten.

Im Sommer 1993 hatte die MailBox ZAMIR-BG 375 Teilnehmerinnen und Teilnehmer; die ZAMIR-ZG 125. Heute haben sich die Teilnehmerzahlen vervielfacht — und hinter den meisten 'Accounts' stehen nicht einzelne Menschen, sondern Gruppen, die gemeinsam einen Zugang zur MailBox nutzen. 1993 wurden für beide MailBoxen je eine zweite Telefonleitung bestellt; in Belgrad wurde diese aber erst Anfang 1995 geliefert — auch in Zagreb dauerte es zwei Jahre.

Serversystem und damit die Nachrichtendrehscheibe im Ausland wurde nun die BIONIC in Bielefeld. In Ljubljana wurde die ZAMIR-LJ installiert und im März 1994 nahm die ZAMIR-SA, die MailBox im stark umkämpften Sarajevo, ihren Betrieb auf. Im Oktober 1994 kam ein weiteres System in Pristina, Kosova, die ZANA-PR, hinzu, womit das Netzwerk nun fünf MailBox-Systeme in Ex-Jugoslawien umfaßte, die eMails, öffentliche Gruppen des UseNet-Teils des Internets, das deutschsprachige /CL- und das Zerberus-Netz, APC und auch eine eigene Brettgruppe namens /ZAMIR anboten.

Ende 1994 wurde das "ZaMir Transnational Network" (kurz: ZTN) Vollmitglied im weltweiten Netzwerk der APC. In Tuzla in Bosnien wurde ein weiteres System, die ZAMIR-TZ, eingerichtet. Inzwischen waren es über 1500 Teilnehmerinnen und Teilnehmer, die die 6 Systeme in 6 Städten benutzten. 1997 sind die Teilnehmerzahlen auf über 5000 Gruppen und Einzelpersonen angewachsen.

Während andernorts die Internet-Euphorie seltsame Blüten treibt und das World Wide Web mit Kommerz aller Art, Bildern, Sounds und Videoclips aufgeblasen wird, als ob die Ressourcen unendlich wären, werden die Systeme des Zamir Transnational Networks nach wie vor mit preiswerter Technik, wenigen Telefonleitungen und viel persönlichem Einsatz betrieben.
Die meisten Netzteilnehmer/innen arbeiten hier mit sogenannten "Pointprogrammen"[3]. Das heißt, sie lesen und schreiben nicht 'online', sondern sie bestellen sich die für sie interessanten Themenbereiche bei ihrer MailBox. Diese Nachrichten werden dort zusammen mit der persönlichen Post als eine komprimierte Datei zur Abholung bereitlegt. Das Datenpaket wird per Modem mit einem kurzen Telefonanruf auf den heimischen Rechner herübergeholt, aufgelegt und dann in aller Ruhe 'offline' die Nachrichten gelesen und bearbeitet, ohne daß der Telefongebührenzähler rattert. Den Anruf bei der MailBox kann das Pointprogramm auch automatisch nachts zu den günstigen Telefontarifzeiten durchführen. Damit verteilen sich die Anrufe der Netzteilnehmer/innen über den ganzen Tag, sie sind auch viel kürzer — so sparen nicht nur die einzelnen Netzteilnehmer/innen Telefonkosten, sondern so ist es möglich, sehr viele Menschen mit nur wenigen Telefonleitungen zu bedienen.

Zamir hat Unterstützung erhalten von der Heinrich-Böll-Stiftung, schwedischen Friedensinstituten, aus Geldern, die die Veröffentlichung von Wam Kats Tagebüchern einbrachten, von Stiftungen aus den Niederlanden, den USA bis hin zur Soros-Foundation.

Mit dem Ende des bewaffneten Konfliktes, so sagt Wam Kat, ist die Aufgabe des ZAMIR-Netzes noch lange nicht erfüllt. Jetzt in der Aufbauphase ist es besonders wichtig, die Kommunikation zwischen den Menschen zu unterstützen. Sinnige Ideen zum Wiederaufbau müssen erdacht und umgesetzt werden, der Kontakt untereinander und zur großen weiten Welt ist wichtig. Wam Kat über ein Wiederaufbauprojekt in Pakrac: "Wir haben einen Aufruf ins Netz gesetzt, daß wir Freiwillige benötigen, für die Arbeit in Flüchtlingscamps. Über tausend junge Menschen aus aller Welt haben sich gemeldet, daß sie mitarbeiten wollen. Wir hatten mehr Völker hier zusammenbekommen als die UNO. Wir haben sozusagen unsere eigene UNO."

Spendenkontonummer für Zamir:
FoeBuD e.V., Kto. 213 81 13
Sparkasse Bielefeld
(BLZ 480 501 61) Kontaktadresse: FoeBuD e.V.,
Marktstr. 18, D-33602 Bielefeld
< Tel: 0521-175254,
Fax: 0521-61172,
Box: 0521-68000
eMail: foebud@bionic.zerberus.de

[1] CL: Computernetzwerk Linksysteme (auch als ComLink bekannt), das deutschsprachige Netzwerk für Politik, Umwelt, Soziales, Kultur, Frieden und Menschenrechte.
[2] APC: Association for Progressive Communication, der internationale Verbund der Umweltschutz- und Menschenrechtsnetze
[3] Ein vielgenutztes DOS-Pointprogramm ist z.B. XPOINT (Crosspoint). Seit 1997 gibt es das neue Pointprogramm CHARON, das unter Windows läuft und PGP-Verschlüsselung unterstützt.
[4] veröffentlicht in Internet Taschenkalender 1998, Noerrenebels, (Kalender), Verlag Die Werkstatt 288 S. – 14,8 x 10,5 cm. – 200. – Pb, ISBN 3-89533-191-0, 14,80 DM (14,- SFr, 108,- ÖS)

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