Rezepte zur Weltverbesserung

Wolfram Nolte sprach mit dem kochenden und schreibenden Friedensaktivisten Wam Kat.

Der aus Holland stammende Wam Kat bekocht seit mehr als 20 Jahren mit seinem Team in verschiedenen fahrbaren Großküchen politische Bewegungen auf ihren Demonstrationen. Aus Anlass des Erscheinens seines Kochbuchs „24 Rezepte zur kulinarischen Weltverbesserung“ sprach eurotopia-Redakteur Wolfram Nolte mit ihm.

Wolfram Nolte: Hallo Wam, in deinem neuen Buch empfiehlst du 24 Rezepte zur kulinarischen Weltverbesserung. Wie kann man genießend die Welt verbessern?

Wam Kat: Diese Frage wird mir immer wieder gestellt, seit mein Buch herausgekommen ist. Die Antwort ist einfacher, als die meisten Menschen denken. Schließlich sind es – wenn man es einmal negativ betrachtet – die gängige Nahrungsproduktion und das verkehrte Essen, die wesentlichen Anteil daran haben, dass unser Planet immer weiter kaputt geht. Oder denkst du, dass man die in Plastik verpackten Tofu-Würstchen aus genmanipulierten Sojabohnen positiv sehen könnte? Schließlich werden dafür große Flächen des brasilianischen Tropenwaldes abgeholzt und Schiffsladungen mit Kunstdünger aus Europa dorthin geschafft. Nur um mal ein Beispiel aus der vegetarischen Küche zu nehmen, von normalen Würstchen will ich gar nicht reden.
Unsere Nahrung wird global hergestellt, und unsere Supermärkte sind voll mit Produkten (auch Bio-Produkten), die allein für ihren Transport mehr Energie verbrauchen, als wir regional herstellen können. Selbst wenn wir hier im Fläming nur Pflanzen für die Herstellung von Bio-Diesel anpflanzen würden, könnten wir noch nicht einmal die Hälfte des dafür benötigten Kraftstoffs herstellen.

Könnten wir denn ohne diese globale Versorgung satt werden?

Auf der anderen Seite könnten wir auf derselben Fläche mehr Nahrungsmittel ernten, als wir brauchen, damit alle in der Region satt werden. Und das ist nur der Anfang einer ­schier endlosen Reihe von Geschichten, wie wir als westliche „Zivilisation“ bei jedem Bissen, den wir zu uns nehmen, unsere eigene Umwelt noch ein bisschen weiter in den Abgrund treiben. Dazu kommt noch die Tatsache, dass alle drei Sekunden jemand an Hunger stirbt, obwohl seit Jahr und Tag bekannt ist, dass wir als Menschheit mehr als genug Nahrung produzieren, um jeden Weltbürger mehr als satt zu bekommen. Die Zahlen der FAO (Nahrungs- und Landwirtschaftsorganisation der UNO) nämlich beweisen jedes Jahr aufs Neue, dass für jeden Erdbewohner pro Tag etwa 2,3 Kilo vegetarische Nahrungsmittel zu Verfügung stehen, als Fleisch wären das gerade mal 300 Gramm, gerade mal ein großer Hamburger.

Was ist also dein Rezept?

Die Antwort ist eigentlich ganz einfach: Statt sich von Fertigprodukten zu ernähren, die wer weiß wo hergestellt und mit allerhand Chemie „lecker“ und haltbar gemacht werden, könnten wir schon auf einen Großteil der Treibhausgase verzichten, wenn wir einfach essen, was bei uns in der Gegend wächst und möglichst wenig tierische Produkte konsumieren. Es kommt einfach darauf an, ein wenig aufzupassen, womit man sich den Magen füllt.

In deinem Buch verbindest du jedes Rezept mit einer Geschichte aus deinem engagierten Leben. Du bist offenbar immer wieder in Sachen Weltverbesserung unterwegs. Gibt es auch hierfür Rezepte, wie man die Welt politisch, menschlich besser macht?

Ich glaube nicht, dass ich jemals ernsthaft darüber nachgedacht habe, die Welt zu verbessern. Daran sind meine Eltern und ihre Erziehung schuld. Als Künstlersohn bin ich – sagen wir es einmal so – ein bisschen anders groß geworden in den sogenannten Jahren des Wiederaufbaus nach dem Zweiten Weltkrieg. Mein Vater hat auf seine pazifistische Art aktiv am Widerstand gegen die Nazidiktatur teilgenommen. Er war sehr negativ überrascht von den Gesellschaften in Europa, wie wenig von ihren sozialen Träumen und Gedanken sie bereit waren, zu verwirklichen. Es entstanden Gesellschaften, die sich keine Gedanken machen wollten, was dabei alles an Natur und Menschlichkeit vernichtet wurde und noch immer vernichtet wird.

Wie seid ihr damit zurechtgekommen?

Unser Haus war immer voll mit Menschen, die auf die eine oder andere Weise nicht mitmachen wollten oder konnten am Aufbau einer primär am Geld orientierten Welt. Es war ein bunte Mischung von Menschen, die aus der damaligen gesellschaftlichen Mitte, der Kultur und Moral des Mainstreams, herausgefallen waren.
Ich habe meinen Vater auch nie lange nachdenken gesehen, ob er jemanden helfen soll, nur darüber, wie. Das wichtigste war die Zuversicht, dass es immer irgendeinen Weg gibt. Sich hinsetzen und klagen, wie schlecht es um die Welt steht, war nicht meines Vaters Ding. Das habe ich mehr oder weniger mit der (damals regionalen) Nahrung aufgenommen.

Es gibt also immer etwas zu tun?

Ja, deshalb suche ich auch nicht lange nach einer Motivation. Eigentlich motiviert es mich sogar, wenn immer deutlicher wird, wie all die schlimmen Szenarien – die ich schon als Kind am Mittagstisch gehört habe – langsam aber sicher so unübersehbar werden, dass selbst Politiker wie Merkel sie nicht mehr überblicken. Ich denke da an die Klimaänderung, die nicht per Zufall in den letzten Jahren wie eine Naturkatastrophe über unseren Planeten hereingebrochen ist, sondern schon Anfang der 60er-Jahre vorhergesagt wurde.
Nach dem Tod meines Vaters Mitte der 70er-Jahre habe ich dann viele Menschen kennengelernt, die glaubten, ihr Leben ihm zu verdanken. Hauptsächlich waren das natürlich Menschen, die im zweiten Weltkrieg untergetaucht waren und von meines Vaters Organisation unterstützt wurden oder Waisenkinder aus der Zeit danach, aber auch Menschen, die ich noch als regelmäßige Besucher aus meiner Kindheit kannte. Wahrscheinlich habe ich auch deshalb nicht lange nachgedacht, ob oder wofür ich mich engagieren soll, weil ich als Kind schon gelernt habe, dass es Sinn macht, Widerstand zu leisten und sich gegen Unrecht zu wehren.

Fühlst du dich angesichts der zunehmenden Krisen niemals entmutigt?

Motivierend sind für mich natürlich auch meine Kinder. Ich bin realistisch genug, zu wissen, dass ich auch mit meinen Aktionen Mutter Erde nicht so gesund an meine Kinder übergeben kann wie ich sie vorgefunden habe, aber ich bin ehrgeizig genug, es dennoch zu versuchen. Natürlich, wenn du dich abends mit einigen Freunden hinsetzt und nachdenkst, sieht alles ein bisschen hoffnungslos aus. Aber meine eigenen „Kriegs“-Jahre auf dem Balkan haben in mir den Glauben bestärkt, dass es auch im größten Wahnsinn immer einen Weg nach „vorne“ gibt. In diesem Sinn bin ich mit Che Guevaras Aussage völlig einer Meinung: „Seid realistisch, fordert das Unmögliche!“

Was gibt Dir Hoffnung?

Noch in den 80er-Jahren schien es unmöglich, dass die Mauer durch Deutschland noch zu meinen Lebzeiten abgebaut würde oder dass die Apartheid-Politik in Südafrika so bald ein Ende fände oder dass Windmühlen von der Allgemeinheit als ernstzunehmende Energiequellen angesehen würden. Alles das hat stattgefunden und noch viele andere positive Dinge, wie z. B. gerade jetzt die Wahl Obamas zum Präsidenten der USA und dass mehr als 16.000 Menschen an der letzten Demo gegen die Castor-Transporte teilgenommen haben. Ob es Rezepte dafür gibt, weiß ich nicht. Ich denke, wenn, dann gibt es nur das eine: nämlich einfach daran zu glauben, dass letztendlich die entscheidende Lösung für das Weiterleben von unserer Mutter Erde ein ökologisch geführtes Leben ist, jede lediglich technische oder „hypertechnische“ Lösung hat bist jetzt nur bewiesen, dass es so nicht funktioniert.
Wie und wo lebst du heute?

Seit einem Jahr lebe ich im Weitzgrund, einem kleinen Örtchen nahe bei Belzig in Brandenburg. Zuvor habe ich in der ZEGG-Gemeinschaft in der Nähe gewohnt. In einer Gemeinschaft zu leben, die großes Gewicht auf das Persönliche und Soziale legt, war für mich nach der intensiven Zeit auf dem Balkan genau richtig. Dann – nach zwölf Jahren ZEGG – stand irgendwie mal wieder eine kleine Veränderung an. Doch Gemeinschaft bleibt für mich ein wichtiges Gegengewicht gegen die immer stärker werdende Individualisierung und Globalisierung unserer Gesellschaft. In den letzten Jahren hatte sich hier in unserer Fläming-Region ein Netz von Freunden aufgebaut, so dass sich für mich die Frage „Gemeinschaft oder inselhaftes Einzeldasein“ so nicht mehr stellte.
Weitzgrund ist auch ein kleine Perle mitten im Wald. Dieses kleine Dorf ist genau das, was es manchmal braucht, um wieder dem Stress der Außenwelt zu entkommen. Seit mein Buch herausgekommen ist, bin ich ständig mit einem Kocher und einem Topf unterwegs, sei es mit der mobilen „Rampenplan“-Küche aus den Niederlanden, der „fahrenden Gerüchte-Küche“ aus Berlin/Fläming oder mit Heiko von meinem Verlag. Wir wollen diesen Platz zu einer Art Keimzelle entwickeln für ein Drei-Generationen-Projekt mit Null-Energie Verbrauch, wo ich in 20 Jahren oder so alt werden will. Ich denke, wir müssen in diesem Land anfangen, unsere eigenen Alternativen für das Älterwerden aufzubauen. Und obwohl wir noch immer an diesem Plan arbeiten, hat es sich in den letzten Monaten etwas anders entwickelt, so dass es wohl etwas länger dauern wird. Eine Woche lang kochte ich z. B. für die Raduga-Chöre aus Schmerwitz, Berlin und Wien die sich hier im Fläming trafen, und in der Woche darauf feierten wir das 5-Jährige der Fläming Kunst Perle. Ja und dann sind die Castoren wieder ins Wendland gefahren. Seit Jahrzehnten ist das auch ein Art Familientreffen von allen, die mal etwas mit Rampenplan zu tun hatten.

Was sind deine weiteren Pläne?

Ja, da gibt es den Plan, nächstes Jahr mit Muslimen, Serben und Kroaten aus Bosnien eine Art multikulti-mobile Küche zu entwickeln. Verkürzt gesagt, wollen wir als eine Art von Essen-Roadshow durch Deutschland touren, mit Musik, Akrobatik, Info und einem eigenen Öko-Clown als grünem Gegenspieler von Ronald McDonald. Wir wollen mehr oder weniger zeigen, dass Essen mit allem zu tun hat, und mit unserem kleinen Zirkus lokalen Initiativen helfen, mehr Gehör zu finden für ihr Aktivitäten.
Unser Ziel dabei ist natürlich nicht nur, Werbung für lokale Initiativen in Deutschland zu machen, sondern auch Unterstützung und Geld zu bekommen für den Aufbau von (multi-kulti-)ökologischen (Küchen-)Projekten in Bosnien. Der Krieg ist jetzt fast 15 Jahre her, und langsam wird es Zeit, die Region wieder nachhaltig aufzubauen. Die meisten großen Wiederaufbau-Projekte, die direkt nach dem Krieg gestartet wurden, bröckeln schon wieder auseinander und waren gewiss nicht mit ökologischen Vorstellungen im Kopf angegangen worden.

In Frankfurt bist du an einer Ausstellung über „Essen und Kommunikation“ beteiligt?

Ja, das Kommunikations-Museum in Frankfurt (in der ehemaligen Post) organisiert im nächsten Jahr eine lange Ausstellung über das Thema „Essen und Kommunikation“. Die Veranstalter waren so beigeistert von meinem Buch, dass sie mich eingeladen haben, mitzuhelfen, ihre Ausstellung zu gestalten. An sich schon ein guter Witz, dass einer von den Kesseln, die wir mit Rampenplan vor fast 25 Jahr benutzt haben, um u. a. bei den Demos gegen Startbahn zwo, Mutlangen und Wackersdorf zu kochen, in einem offiziellen, vom deutschen Staat geförderten Museum unterkommt. Das alleine ist schon ein Grund, um da mitzuhelfen. Denn gerade das „Essen“ ist und bleibt ein heißes Thema, das haben schon die Kabouters (eine anarchistische politische Gruppe in den Niederlanden Ende der 60er-Jahre) aufgegriffen mit ihren ersten biologischen Läden und Höfen und weiter von hier in den USA Wavy Gravy mit seinen Free-kitchens (u.;a. in Woodstock). Auch bei Rampenplan haben wir immer gemerkt, wieviele politische Botschaften mensch damit weiter kommunizieren kann.

Wie geht es hier in Belzig weiter?

Ich bin auch in den Belziger Stadtrat wiedergewählt worden. Wir haben als Linke sogar einen Sitz dazu gewonnen. Zusammen mit der neuen Bürgermeisterin könnte so auch die Entwicklung der Region Fläming in ein neues Stadium kommen. Uns stellt sich jetzt die Herausforderung: Wie bauen wir diese Region weiter ökologisch aus und wie finden wir gute ökonomische und soziale Regelungen? Wie können wir dauerhaft Gen-frei bleiben?
Irgendwie muss ich dann noch einen Weg finden, das alles auch finanziell zu überleben, obwohl die letzte Finanz-„Krise“ mir noch deutlicher als vorher gezeigt hat, dass es wichtiger und sicherer ist, viele Freunde zu haben, als mitzuzocken an den Luftblasen der Börse. Trotzdem müssen irgendwie unser Haus und unsere monatlichen Kosten bezahlt werden. Weil ich seit fast 30 Jahren mehr oder weniger in Schenk-Ökonomie lebe, müssen wir auch dafür nach einem neuen Konzept suchen. Von den Aktivitäten einer Volksküche kannst du eigenlicht nicht richtig leben, jedenfalls nicht so, wie wir das mit „Rampenplan“ und der „Fahrenden Gerüchte-Küche“ organisiert haben. Da macht jeder umsonst mit, höchstens werden mal die Reisekosten ausgezahlt. Vielleicht schreibe ich auch ein zweites Buch. Aber wie ich gesagt habe, ich bin nicht so einer, der sein Leben lange vorausplant, es läuft eher ein bisschen organisch chaotisch ab. Ich versuche es mit dem alten Sprichwort „Go with the flow!“.

Danke, Wam, für die Einblicke in das Leben eines kochenden Weltverbesserers. Kannst du uns zum Schluss eines deiner Rezepte verraten?
Na, da empfiehlt sich doch unser „Wendland Spezial“ für die Demonstranten gegen die Castor-Atommüll-Transporte. So richtig schmeckt es allerdings erst, wenn man die Dinge nicht nur in der Küche selbst in die Hand nimmt. Vielleicht kommt ihr nächstes Jahr auch nach Gorleben? Oder ihr fangt einfach bei euch zu Hause an! (Rezept siehe PDF-Version dieses Artikels)♠

Wam Kat, 53, seit über 30 Jahren aktiv in der Friedens-, Umwelt-, Anti-Atom- und Gemeinschaftsbewegung, lebt seit seiner Jugend mit kurzen Unterbrechungen in größeren oder kleineren Gemeinschaften u. a. im ZEGG, ist Mitbegründer zahlreicher Initiativen, als Friedensaktivist während des Bürgerkrieges im ehemaligen Jugoslawien aktiv, Verfasser des „Zagreb Diary“. www.buch.wamkat.de, mir@wamkat.de, www.zegg.de.

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