Über den Tellerrand essen

Wenn Verschmähtes auf Aufbegehrende trifft, hat fast immer Wam Kat seine Kochlöffel im Spiel. Mit seiner mobilen Fläming Kitchen versorgt er Großdemonstrationen und politische Kleingruppen mit veganen Mahlzeiten, oft aus Gemüse, das sonst weggeworfen würde.

 

Könnte es nicht sein, dass sich jedes Gemüse seine eigene Verzehrer-Zielgruppe anlockt? Die genormte, aber nicht besonders gehaltvolle Tomate aus dem Discounter begnügt sich mit dem desinteressierten, passiven Verbraucher, während die aufmüpfige Karotte – krumm, runzelig oder gar zweibeinig – vom regionalen Biobauern auf die Genussvollen und Umweltbewussten hofft. Dass eine Paarung wie die letztere tatsächlich stattfindet, ist nicht ganz einfach. Dass es trotzdem funkt, dafür sorgt Wam Kat mit seinen gigantischen Kochtöpfen – seit über 30 Jahren.

Ganz in schwarz, mit Kapuzenpulli und Wollmütze, dazwischen ein grauer, borstiger Pferdeschwanz, lädt Wam Kat unzählige Plastikkisten aus einem Anhänger. Tatsächlich sieht er aus wie ein Roadie, der für das Equipment einer Heavy-Metal-Band zuständig ist. Die angeschleppten Kisten platziert er jedoch nicht auf einer Bühne, sondern unter einem temporären Zeltdach. Erst, als die mobile Küche mit Gasbrenner und Arbeitsplatten in Form von Biertischen Gestalt annimmt, wird erkennbar: Der Mann ist Koch. Einer, der mit winzigem Messer Gemüse schneidet und mit meterlangen Kochlöffeln in Obelix-großen Töpfen rudert. Und einer, der meint, was er sagt – „Ich möchte diesen Planeten nicht schlimmer hinterlassen, als ich ihn selbst vorgefunden habe“ –, sowie das konkret anpackt, was er meint. Ihm geht es um das Elementarste: das Essen und dessen Verschwendung.

Die paarungswilligen Karotten machen den Anfang. Besonders knackig sehen sie alle nicht aus. Zu Wam Kat kamen die nicht mehr handelstauglichen Möhren ursprünglich als Spende eines Bauern für die letzte Demo. Doch dort kamen sie nicht zum Einsatz. Um Speisereste und damit Verschwendung zu vermeiden, ist für Wam Kat wichtig, tatsächlich nur so viel zu kochen, wie gerade benötigt wird. Die Karotten durften daher als Vorrat ein bisschen mit ihm durchs Land reisen und werden nun für die heutige Veranstaltung hergerichtet. Mit schnellem Schnitt verschwinden die weichen Stellen; geputzt und in Form geschnippelt, wandert das noch Verwertbare in den 400-Liter-Kochtopf. Zwiebeln, Lauch, Sellerie und Linsen werden folgen. Als Suppe vereint, treffen sie später auf jene aufständischen Menschen, die heute trotz Kälte in Berlin für die Energiewende sowie gegen Fracking und Atomkraft auf die Straße gehen.

Zum Kochen kam der gebürtige Niederländer über das eigene Demonstrieren in den frühen Achtzigern, der Zeit der großen europäischen Auseinandersetzungen um die Atomkraft. Ein Kernkraftwerk in Utrecht sollte damals für eine Woche blockiert werden, 5.000 Teilnehmer wurden erwartet. Bei einem Vorbereitungstreffen stellte sich heraus, dass sich über die Verpflegung noch niemand Gedanken gemacht hatte. Kurzentschlossen meldete sich Wam. „Alle haben gedacht, der Typ ist verrückt geworden – aber wenn kein Essen da ist, wissen wir immerhin, wer Schuld hat.“ Am Ende gab es genug zu futtern. Seit diesem Tage kocht Wam Kat auf groß angelegten Demonstrationen und Friedenskundgebungen in ganz Europa, vegetarisch und mobil. Dabei ist er gar kein professioneller Koch, sondern promovierter Soziologe und Psychologe.

Seit 1995 lebt Wam Kat in Deutschland, im brandenburgischen Fläming, und ist seit drei Jahren mit Fläming Kitchen, seiner mobilen Aktionsküche, unterwegs. Fläming Kitchen ist die älteste Volxküche Deutschlands, denn das Durchschnittsalter der wenigen Mitarbeiter und freiwilligen Helfer liegt bei fitten 50 Jahren. Wam Kat selbst steuert 58 Jahre bei, dazu einen gepflegten holländischen Akzent. An bis zu 250 Tagen im Jahr ist er mit seiner Küche im Anhänger auf Tour und kocht auf den unterschiedlichsten Veranstaltungen. Darunter sind Großdemos gegen die Agrarindustrie wie das jährliche Wir haben es satt, aber auch kleinere Projekte wie derBiosphärentag oder Kochtermine mit Grundschulkindern. Wenn Wam Kat zusagt und für alle kocht – inzwischen vegan –, gibt es nicht nur leckeres Essen, sondern auch Kost fürs Bewusstsein: „Wir alle entscheiden dreimal am Tag, wie die Zukunft unserer Welt und unserer Enkel aussehen wird.“ Auch die Aufschrift seines T-Shirts unterstreicht seinen Appell für eine geschärfte Wahrnehmung in der Auswahl von Lebensmitteln: „Essen ist eine politische Handlung.“ Damit seine Botschaft nicht durch die Größe des Geldbeutels behindert wird, haben seine Gerichte auf Großdemonstrationen keinen festen Preis. Jeder ist frei zu geben, was er kann und mag. Leider geht diese Rechnung für den Koch nicht immer auf. Erst übers Jahr verteilt gleichen sich Wam Kats Ausgaben für Gemüsezukauf, Gasflaschen und Fahrtkosten einigermaßen aus. Bei kleineren Kochaktionen hingegen wird das Finanzielle mit dem Veranstalter vorab geregelt.

Dass das, was Wam Kat nun seit Anfang der 1980er-Jahre macht, auch tatsächlich etwas verändert, spürt er so richtig erst seit drei Jahren. Damals ging er mit Valentin Thurn und dessen Film Taste the Waste auf Premieren-Tour durch Deutschland und stellte den im Film gezeigten Bergen weggeworfener Lebensmittel eine dreidimensionale Aktionskomponente zur Seite. Aus knubbeligen Kartoffeln, vorzeitig zu Müll gemachtem Gemüse und Kräutern aus „city gardening“ wurde vor einer großen Öffentlichkeit Kartoffelstampf mit Gemüsecarpaccio an Kräuterpesto. Angelockt von der medialen Aufmerksamkeit setzten sich plötzlich Verbände, Organisationen und verschiedene Ministerien an einen Tisch und planten, gemeinsam gegen Lebensmittelverschwendung vorzugehen. Die EU-Kommission rief gar für 2014 ein entsprechendes Themenjahr aus. Doch am meisten freut Wam Kat, dass sich immer mehr junge Leute zu Schnippeldiscos zusammenfinden, um gemeinsam ausrangiertes Gemüse zu verarbeiten. Für ihn stellen die Parties in Köpfen und Herzen einen Bezug her zwischen Lebensmitteln, Essen und Gemeinschaft.

Unterdessen sind in Berlin die Karotten mit Linsen und Co. zu einer kräftigen Suppe verschmolzen. Die Ausgabe steht bevor. Aus dem riesigen Topf geht es für die brodelnde Flüssigkeit zunächst in warmhaltende Edelstahlbehälter. Als diese dann offen auf Biertischen bereit stehen und der ausströmende Duft die ersten der heute 16.000 Demonstranten nach den Suppentellern greifen lässt, ist klar: Wam Kats Mission ist wieder einmal geglückt. Die Vermittlung zwischen Unangepasstem und Aufständischem ist gelungen, der Teller hat über die Tonne gesiegt.

Cecilia Antoni

23. Januar 2014

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